Hartmut und ich: Roman
rauchen schlechte Selbstgedrehte in ihren blauen und roten Joggingjacken, und dann reden sie über Tarantino oder Lynch oder die Simpsons oder Schmidt oder warum Matrix 2 und 3 eine Katastrophe sind, und dann gibt einer von ihnen zu, dass er das doch gemocht hat, aber natürlich nur so aus der Distanz, so ironisch gebrochen, weißt du?«
Ich starre auf den Pausenbildschirm des Spieles, das ich unterbrochen habe. Metal Gear Solid . Ironisch ist das nicht.
»Das Schlimme ist, dass Intelligenz die Leute irgendwie versaut. Die gehen in so eine komische Falle. Guck mal, damals bei den Schulfeten in der Schützenhalle, da liefen die alle noch in ihren Biohazard-Pullis rum und meinten das richtig ernst, wenn sie die Bierpullen an der Mauer kaputtgewichst haben. Und irgendwann«, Hartmut steht auf, krabbelt über die Couch zu meiner Sessellehne, vertreibt den fauchenden Yannick und macht mit den Fingern so beschwörende Gesten an meinem Ohr, »ist denen ein Floh eingegeben worden, dass es sich nicht ziemt und uncool ist, wenn man irgendwas wirklich ernst meint und sich entscheidet, und dann haben sie alle angefangen mit der Ironie.«
»Ich hol mir ein Bier, willst du ein Bier?«, frage ich, und Hartmut guckt kurz empört und nickt dann lächelnd. Er folgt mir in die Küche und spricht weiter: »Verstehst du, was ich meine? Die halten sich alle für überlegen gegenüber den BWL-Studis mit ihren guten Klamotten oder den naiven Erstsemestern, die ernsthaft noch mit einer Iron-Maiden-Kutte rumlaufen. Dabei sind sie doch selbst ein Volk von Schlümpfen. Die verbringen doch Stunden auf Trödelmärkten, um möglichst schlechte Sachen zu finden.« Ich zupfe zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und reiche sie Hartmut, der beim Öffnen weiterredet. Ich muss daran denken, dass Hartmut in der Oberstufe auch so aussah wie die Leute, über die er sich jetzt beschwert. Stunde für Stunde starrte ich in dem muffigen Kellerraum, der bei uns für den Religionsunterricht reserviert war, auf seinen Rücken und die blau-weiß-roten Streifen seiner Jacke. Es war eine alte Hummel-Weste mit abnehmbaren Ärmeln, gut gepolstert und so verbraucht, als hätte er sie aus einem Keller gestohlen. An der Schulter hing ein Stück der Wasser abweisenden Außenhaut herunter, Woche für Woche wedelte es da auf halbmast und wackelte, wenn Hartmut etwas sagte.
Vor dem Küchenfenster sehe ich Hans-Dieter vorbeischleichen. Er trägt einen Anglerhut. Es schneit. »Die wissen ganz genau, was sie offiziell zu mögen haben und was nicht und wann sie ihren Ironie-Modus einschalten müssen, weil sie eigentlich etwas geil finden und es nicht sagen dürfen!« Hartmut wedelt mit der Flasche herum, als er das »ganz genau« betont, und Bierschaum läuft uns auf die Fliesen.
»Worauf willst du hinaus, Hartmut?«, frage ich, weil Hartmut nie einfach nur so über Missstände lästert. Hartmut kann gar nicht anders, als immer irgendwas zu unternehmen, das liegt in seiner Natur.
»Ich will darauf hinaus«, setzt er an und macht dann ein kurzes, schnappendes Geräusch, als hätte er sich nicht darauf eingestellt, seine Einleitung so schnell beenden und zur Conclusio kommen zu können. Manchmal denkt er immer noch, ich verstünde nicht genau, worüber er redet. Gut, die ironisch Gebrochenen sind auf meinem Arbeitsplatz am Packband nicht gerade weit verbreitet. Aber das heißt ja nicht, dass ich diese Leute nicht kenne. Hartmut bekommt langsam wieder Luft, stößt jetzt Halbsätze aus, und schwingt die Flasche, wie ein Anwalt in Hollywoodfilmen es mit dem Kuli oder der zusammengerollten Akte tut, während er in seinem Büro auf und ab läuft und vor den Augen seines im Sessel sitzenden Partners und Mentors spontan seine Prozess-Strategie entwickelt. »Der kleine Gebrauchthändler in der Gasse, Saga-Platten für 50 Cent, Turniere … «
»Stopp, Hartmut, stopp. Alles der Reihe nach. Saga-Platten?«
»Ja, Saga, kennst du die nicht mehr? So’ne Progressive-Rock-Band aus den 70ern, typische Trödelmarktware, alle wollen Saga loswerden und Jethro Tull und Alan Parsons Project und Genesis und Barclay James Harvest und natürlich auch Maffay und Spandau Ballet und … «
»Und was ist mit den Saga-Platten?«, hake ich nach.
Hartmut wedelt mit den Armen, als sei ich völlig begriffsstutzig. »Na, kann es etwas Unironischeres geben als Saga-Platten?«
Ich schüttele den Kopf und denke an die Cover, die pompöse, handwerksmeisterliche Musik.
»Ein Experiment«, sagt er. »So
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