Hartmut und ich: Roman
was wie Familientausch … «
Ich bekomme ein wenig Angst, wie Hartmut das jetzt sagt. Er hat wieder was Aufwändiges vor.
»Ich muss im Moment sowieso mit ein paar solcher ironisch Gebrochenen ein Referat vorbereiten. Irgendwie mögen die mich, ich weiß auch nicht, wieso. Ich könnte sie einladen, wir könnten … « Hartmut fasst sich mit der freien Hand ans Kinn und schaut zur Lampe. »Die Räume«, murmelt er, und dann blickt er ruckartig auf, schreit »Ha!«, rennt in sein Zimmer und ruft von dort zu mir, der ich verdutzt und verwaist mit meinem Bier stehen geblieben bin: »Bin gleich wieder bei dir, muss nur eben meinen Plan notieren!« Zehn Minuten später ist er wieder da und erläutert mir sein Vorhaben. Als ich wieder von dem Blatt aufsehe, ziehen sich meine Mundwinkel nach oben.
Als die ironisch gebrochenen Studenten am Samstag mit Hartmut das Referat vorbereiten, ahnen sie noch nichts davon, welche Art von Fete sie danach erwarten wird. Sie sehen aus, als erwarteten sie so eine Rumstehfeier, wo sich winzige Studierende in Trainingsjacken kennen lernen, die Jungs meist hager und mit sensiblem Blick, die Mädchen mit Handtäschchen aus diesem Stoff, aus dem auch Armeehosen sind. In Wirklichkeit sind die Zimmer schon präpariert, die richtigen Platten liegen bereit, die richtigen Leute sind eingeladen. Es war schwer, sie alle zu bekommen, aber nicht unmöglich. Jeden Moment wird es losgehen. Die Studenten packen ihre Papiere zusammen, die Blätter sind lose und vermischt, und das gewohnheitsmäßig ausweglose Herumsuchen in den Materialien hat in den Gesichtern der ironisch Gebrochenen zu jenem genau abgepassten Quäntchen Weltekel und Müdigkeit beigetragen, das immer noch genug Energie für angenehmes Weiterleben über Milchkaffee und Selbstgedrehten lässt. Die Studenten heißen Kai, Patrick und Ole und tragen in der Tat alle Trödelmarktsachen. Ole sieht ein wenig aus wie Jamiroquai, dieser Acid-Jazz-Dandy, der Weltrettungstexte schreibt und Ferrari fährt. Er trägt einen Viertagebart, eine schreckliche Wollmütze und ein ausgeleiertes, dünnes Hemd in trockenem Rot. Seine Fingernägel sind abgekaut, und er raucht in einem fort, aber anders, als etwa meine Arbeitskollegen rauchen. Er hält die Zigarette irgendwie weiblich und starrt dabei durch den Rauch, als lese er an unserer Tapete eine Geheimschrift. Kai hat kurze Haare und so eine alte, ganz alte Baseballjacke, wie sie früher in amerikanischen Teenie-Serien der 80er getragen wurde. Er redet immer davon, dass die Popliteratur eigentlich ein Verbrechen ist und das alles jungliberale Schnösel seien, und wenn man ihn fragt, was er gern für Musik hört, antwortet er Oma Hans oder Turbostaat, »so intelligenten Deutschpunk« eben … »intelligenter Deutschpunk« … das klingt für mich immer wie »echter Sozialismus«. Patrick trägt einen leicht müffelnden Wollpulli mit V-Kragen samt Cordhose, hat Segelohren und spielt studentisches Theater. Er mimt dort einen entfremdeten Hochhausbewohner, der ständig Pornos schaut, es ist wahrscheinlich ein zivilisationskritisches Stück, auf jeden Fall ironisch. Patrick sagt nicht viel, sondern schielt ständig auf das Regal mit den Playstation-Spielen. Ich sehe ihm an, dass er eigentlich die Reihen entlangschreiten und die Titel gucken will.
Die Gäste kommen tatsächlich alle pünktlich. Den Zu-spät-Kommern hatten wir sieben Uhr als Beginn gesagt und den Zu-früh-Kommern neun. So stürmt also um acht Uhr die ganze Besetzung unsere WG, von Hartmut und mir gecastet und aus den letzten Löchern gegraben, zu ihrer und unserer Überraschung. Einige davon hat man absichtlich Jahre nicht angerufen, und ich hatte Hartmut direkt gefragt, ob ihm der Nutzen die Kosten einer Aufwärmung von zig unerwünschten Kontakten wert sei, doch er hat nur genickt und gesagt: »Zwei Semester Ironie sind genug. Wenn sie’s schon nicht selbst verstehen, will wenigstens ich einmal über sie lachen.« Und so verteilen sich nun die Gäste auf unsere Räume, gelenkt wie sich gegenseitig anziehende Substanzen im Labor oder wie Fischschwärme.
Damit die Grüppchenbildung nicht so auffällt und die Studenten nicht gleich bemerken, wie Hartmut und ich hier jeden Raum zu einer Art Spezialbühne gemacht haben, drücke ich Kai, Ole und Patrick jeweils eine Bierflasche in die Hand, frage, ob sie mal den Rest der Riesenwohnung sehen wollen, und ziehe sie durch das große Bad in Hartmuts Zimmer. Dort haben sich Uwe, Günther und Elmar
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