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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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versammelt, drei alte Kollegen aus meiner Zeit beim Bund. Sie tragen alle recht langes Haar und sehen sämtlich zehn Jahre älter aus, als sie sind. Ihre Lederjacken haben sie über den Schreibtisch geworfen, und als sie den Studenten und mir die Hand geben, spürt man die Hornhaut von Jahren der Betätigung als Gitarrist, Bassist und Schlagzeuger. Uwe, Günther und Elmar sind Musiker, Rockmusiker der gehobenen Art. »Wir brauchen ein paar Leute, die Musik handwerklich ernst nehmen, aber keine Jazzer. Jazzer sind einfach zu cool, die würden nicht schocken«, sagte Hartmut. Also griff ich zum Telefon und rief meine alten Soldatenkumpels an. Uwe, Günther und Elmar, die Frickelbrüder des Rock, die zu Jazz wenig Bezug haben, aber bei Konzerten von King Crimson auf die Knie fallen. Uwe, Günther und Elmar, die Ohrringe tragen, soeben die erste alte Saga-Platte auflegen und von Ironie noch nie was gehört haben. Elmar dreht die Musik lauter, prostet allen zu und grinst. Uwe fällt ein gelber Brocken aus dem Ohr, als er anfängt, Luftschlagzeug zu spielen. Die Studenten stehen in der Mitte des Raumes, als suchten sie nach Haltegriffen. Der Abend kann beginnen.
    Nach einer halben Stunde haben sich unsere Progressive Rocker von Saga über Spock’s Beard zu Dream Theater vorgearbeitet. Elmar steht auf Hartmuts Bett und spielt in höchster Konzentration die Gitarrenläufe nach, Uwe trommelt weiter in der Luft und nickt zwischendurch Günther zu, der ständig Kommentare zu Taktwechseln und Produktion abgibt und mit größtem Ernst die Diskussion über die zehn wichtigsten Rockplatten der Geschichte wieder aufnimmt, die ich damals in der Kaserne losgetreten hatte, als ich mich zu irgendwelchen unfähigen Grungern bekannte. Die Studenten sehen sich derweil an und tuscheln miteinander. Dabei betrachten sie die trommelnden und Luftgitarre spielenden Exponate auf Hartmuts Bett wie drei merkwürdige Gefährten aus dem Ausland, die ihre Sprache noch nie gesprochen haben. Der Song endet, und Uwe sagt plötzlich in die Stille herein: »Ja, Jungs, datt is noch wirklicher, ehrlicher Rock mit Schweiß inne Achseln!« Patrick muss husten, Ole macht einen Blick, der viel mit Mitleid zu tun hat, und sagt: »Ja, genau, das sind noch echte Männer mit Eiern!« Er meint es natürlich ironisch. Uwe hält einen Moment inne, sieht ihn an, vergrößert dann seine Augen und strahlt: »Ja, du hast es erkannt, Junge!« Ole ist sprachlos. Kai fällt das Bier aus der Hand. Ich denke, es ist Zeit, sie in einen anderen Raum zu führen.
    Im Lagerraum haben sich mein Arbeitskollege Martin und seine Freunde eingefunden. Aus einem Ghettoblaster knallt uns New York Hardcore und Crossover-Mucke entgegen. Madball, Biohazard, Ryker’s, Hatebreed, Breakdown. Wir haben den Raum extra mit Eierkartons abgeklebt, damit das Progrock-Zimmer davon ungestört bleibt. In einer Ecke wird gewürfelt, und die jungen Männer mit ausnahmslos muskulösen Armen und sehnigen Körpern in Basketball-Leibchen und halblangen Hosen beugen sich zu ihren Gewinnen nieder wie die Mexikaner im Fernsehghetto. Ab und zu schubst einer den anderen aus Spaß, und es entsteht in Windeseile ein spontaner Pogo zur Musik. Als gerade mal niemand durch den Raum geworfen wird, umarme ich Martin zur Begrüßung, was sich die ironisch gebrochenen Studenten mit einem kaum zu versteckenden Sozialarbeiter-Blick ansehen. »Martin, das sind Kai, Patrick und Ole, Studikollegen von Hartmut; Leute, das ist Martin, mein Arbeitskollege, der erste Mann, der es geschafft hat, 55 Pakete in der Minute zu erreichen«, sage ich, und Martin drückt allen dreien so fest die Hand, dass ihnen die Luft in der Nase stecken bleibt. Martin hat seinen Bürstenschnitt-Iro gut gepflegt und trägt ein ärmelloses T-Shirt von Merauder. »Was arbeitest du denn?«, fragt mich jetzt Kai, als Martin sich gerade umdreht, um eine Flasche aus dem Kasten zu holen und mit den Zähnen zu öffnen. »Packer. UPS«, sage ich, und Kai sieht mich ironisch gebrochen an. »Nee, jetzt mal im Ernst.«
    »Natürlich im Ernst«, sage ich und füge hinzu: »Wir haben doch alle die Wahl, oder?«
    Martin ist wieder unter uns und reicht Kai eine Flasche, die er gerade aufgebissen hat. Plötzlich schreit jemand von hinten »Circle Pit!!!«, als »My Life« von Sick Of It All ertönt, und reißt uns in das wüste, schubsende Im-Kreis-Rennen. Die Studenten springen noch gerade rechtzeitig zurück und drücken sich ängstlich mit dem Rücken an die Wand, als

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