Haschisch - Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbsthilfe, Therapie
sich wieder anpassen. Wir werden zwar nur eine therapeutische Beziehung haben, aber ich kiffe nicht. Sie können sich nach mir richten und aufhören zu kiffen. Setzen Sie sich ein Datum, bis zu welchem Sie das bewerkstelligt haben möchten.« Die Klientin blickte mich aufmerksam an, dann lächelte sie und versprach, darüber nachzudenken. Ich war mir sicher, dass die Intervention vorübergehende Wirkung zeigen würde, gab mich aber nicht der Illusion hin, dass sie auf Dauer den Rückfall verhindern würde.
Beim dritten Gespräch erzählte die Klientin sogleich, dass sie »in vorauseilendem Gehorsam« bereits einen Tag nach dem vorangegangenen Termin nicht nur mit dem Marihuana-, sondern gleichzeitig auch mit dem Zigarettenrauchen aufgehört habe. Sie habe ihre Vorräte an »Gras« nicht einmal mehr aufgeraucht, sondern vernichtet und eine weitere Bestellung rückgängig gemacht. Ihre Mitbewohner seien sehr stolz auf sie. Die Klientin ist der lebende Beweis für die Tatsache, dass selbst stark cannabisabhängige Personen ihr Kiffen von heute auf morgen einzustellen vermögen, wenn sie über eine ausreichende Motivation verfügen. Eigentlich brauchte ich mich mit meiner Klientin gar nicht ausdrücklich über meinen »Trick« zu verständigen. Therapieerfahren, wie sie war, hatte sie bereits verstanden, welches »Spiel wir spielten«. Dennoch sprach ich es aus: »Ich glaube, wir wissen beide, dass wir hier so etwas wie ein Spiel spielen. Wenn Sie sich mir anpassen und aufhören zu kiffen, ist das eigentlich nur mehr desselben, also eine Fortsetzung dessen, was sie gut kennen. Sie wissen außerdem gut, was Übertragung bedeutet und wie sie funktioniert. Wenn Sie in vorauseilendem Gehorsam mir zuliebe aufhören können zu kiffen, ist mir das erst einmal recht. Aber ich weiß, dass Sie wissen, dass das im Moment nur ein Grund ist, mit dem Sie selbst gut leben können. Sie haben weit bessere Gründe, die Sie allerdings im Moment noch gar nicht gelten lassen können, weil Sie es sich selbst nicht wert sind.«
Dass ihre Mitbewohner zu der Zeit auf die Klientin stolz waren, konnte sie gerade noch akzeptieren. Würdigende Bestätigung von mir nahm sie nur »verschämt« entgegen. Eigene Zufriedenheit oder so etwas wie geheimen Stolz auf den zu würdigenden Eigenanteil bei ihrer beachtlichen Leistung durfte sie sich noch nicht gönnen. Es fiel der Klientin in den folgenden Wochen häufig schwer, nicht in altes Konsumverhalten zurückzufallen, zumal der fehlende Puffer Marihuana sie mit Gefühlen in Kontakt brachte, mit denen umzugehen sie erst neu lernen musste. Sie somatisierte vorübergehend verstärkt, bekam nachts Lähmungserscheinungen, regredierte. Erste Blockaden lösten sich im wieder einsetzenden Tränenfluss. Zum ersten Mal bedauerte sie die Trennung von ihrem letzten Lebensgefährten. Das Alleinsein fiel ihr schwer. Sie geriet unter wachsenden Stress. Früher hatte sie ihre Anspannung stets mit Marihuana gemildert. Nun fehlten ihr verfügbare alternative Möglichkeiten zum Entspannen und Abschalten. Wir deckten verschüttete Eigenstrategien wieder auf und entwickelten neue Strategien für einen achtsamen, selbstfürsorglichen Umgang mit sich. Wenn sie dafür auf die vorübergehende Unterstützung Dritter zurückgreifen sollte, fiel ihr das unendlich schwer. Sie vermochte niemanden um Hilfe zu bitten, weil sie sich nichts wert fühlte. Umgekehrt war sie aber ständig für andere Personen da. Daraus bezog sie so etwas wie Daseinsberechtigung.
Die Klientin verspürte überaus deutlich den Erlebensunterschied zwischen ihrem »bekifften Vorher« und ihren unvertrauten Gefühlszuständen im »Hier und Jetzt mit klarem Kopf«. Vereinzelt entdeckte sie Glücksinseln im Alltag. Sie wirkte geklärter, offener, weniger verkniffen im Gesicht. Körperliche Symptome besserten sich oder verschwanden ganz. Schritt für Schritt ging sie mutiger in Konflikte hinein und schreckte nicht mehr ganz so vor aggressiven Empfindungen zurück. Ich verstand ihre Aggressionen zum einen als berechtigten Zorn, der wieder sein Ziel finden musste, um dorthin zu gelangen, wo er ursprünglich erzeugt wurde. Zum anderen machten sich in der Aggression vitale Lebenskräfte bemerkbar. In der Klientin schlummerte gewaltiger, ungestillter Lebenshunger.
In ihren Beziehungen veränderten sich langsam die Maßstäbe. Bisher war in ihrem Leben alles entweder »schwarz« oder »weiß«. Zwischen dem »Entweder-oder« führten die farbigen Zwischentöne nur
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