Haschisch - Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbsthilfe, Therapie
eine verkümmerte Existenz. Die Klientin verspürte wachsende Lust, sich den Raum zwischen den extremen Polen anzueignen. Das beinhaltete, dass sie ihren Mitmenschen wie sich selbst mehr »Realität« zugestand. Menschen müssen auch mal »enttäuschend« sein dürfen, um real zu sein. Im Umkehrschluss bedeutet das zugleich Entlastung für sie, da sie selbst nicht unablässig brav und perfekt sein muss. In der Hinsicht war allerdings die »Leiter noch zu hoch« für sie. Sie vermochte nur zögerlich wenige Sprossen herunterzuklettern. Die perfektionistischen Ansprüche an sich selbst wollten behutsam gemildert werden. Zu machtvoll waren die sie bindenden inneren Elternstimmen. Traf sie zu dem Zeitpunkt real auf ihre Eltern, kam ihr der Ekel hoch und sie erstarrte. Sie hatte das Gefühl, ihre Mutter würde ihr am liebsten »die Schädeldecke abheben, um in meinen Kopf hineinsehen zu können«.
In ihrem Beruf erlebte die Klientin eine neue Art von Kompetenz. Neben viel Stress empfand sie phasenweise ungewohnten Spaß an der Arbeit, weil ihr Empfindungsvermögen nicht mehr fortwährend durch Marihuananebel eingelullt war. Brachen in unserer gemeinsamen Arbeit alte, unverheilte Wunden auf, wurde jedes Mal ein Schwall von Trauer spürbar. Dazwischen drängten sich in schnellem Wechsel Elemente von »Es geht mir gut«. Als ich der Klientin das zum ersten Mal spiegelte, bestätigte sie meinen Eindruck, vermochte ihre Empfindungen aber noch keinem bekannten inneren Ort zuzuordnen, da ihr die positiven Erlebnisräume bislang viel zu wenig vertraut waren.
Von ihrer Übertragungsmotivation, ihr Kiffen einzustellen, hatte sich die Klientin in ihrer Eigenbewegung bereits entfernt. Zum einen formulierte sie, dass es mich als Therapeuten »richtig« und nicht bloß als Übertragungsfläche gebe. Ich bot ihr mit Absicht viel Gelegenheit, mich als realen anderen zu erleben. Zum Zweiten hatte sie ein Stadium erreicht, wo sie »die guten Gründe, um mit dem Kiffen aufzuhören«, in sich selber suchen und finden mochte. Einer der Gründe, den sie mit widerstrebenden, aber nicht mehr gänzlich selbstablehnenden Gefühlen entdeckte, ist derjenige, dass es an ihr als Person »tolle Seiten« gibt. Die Arbeit an ihrem Selbstwertgefühl begann erste Früchte zu tragen, es nahm aber noch geraume Zeit in Anspruch, bis sie sich mitfühlend annehmen und zu sich selbst sagen konnte: »Ich bin ein Mensch mit eigenem Wert.«
Der Weg, den die Klientin ging, war phasenweise heftig für sie. So anstrengend, dass sie in einer Situation, als viele Belastungsfaktoren gleichzeitig auf sie einstürzten, ihren ersten »Rückfall« baute. Er musste kommen. Die als Fortschritt zu wertende Botschaft darin lautete: »Ich bin nicht länger nur das brave, angepasste Mädchen.« Der problematische Teil des Rückfalls verdeutlichte im Veränderungsprozess die Belastungsgrenzen der Klientin. In Momenten, in denen alles über ihr zusammenstürzte, erlebte sie sich nur noch ausgefüllt von überwältigender »Angst, zu sterben. Da kann niemand mich erreichen«. Und so half ihr nur der rettende Rückgriff auf das altvertraute Kiffen: »Das macht alles weich. Im Kiffen fühle ich mich sicher. Da weiß ich genau, was ich wie zu tun habe.« Die Vernichtungsängste sind gemildert, die Welt ist wieder weichgespült. Die bereits von der Klientin erreichten Veränderungen wurden durch insgesamt zwei Rückfälle jedoch nicht zunichtegemacht. Sie entfalteten weiterhin beharrlich ihre Wirkungen. Nachdem beide Rückfälle als »Vorfälle« bearbeitet waren und die Klientin sich mit dem mobilisierten kraftvollen Trotz nicht mehr selbst blockierte, konnte sie ihre inneren Antriebskräfte in produktive Wandlungsenergie ummünzen, mit der sie auch weitere Krisen überstand.
Es brauchte weitere Zeit, bis die Klientin sich ihren größten Ängsten zu stellen traute, ohne Zuflucht bei den vertrauten Wirkungen von Marihuana zu suchen. Ebenso dauerte es, ihr Gefühl für die eigenen Grenzen fest zu etablieren. Die zuverlässigen Unterscheidungen »Wo fange ich an, wo höre ich auf? Was will ich, was will ich nicht?« vermochte sie am nachhaltigsten durch stimmige körpertherapeutische Interventionen in sich aufzunehmen. Da die Klientin durch übergriffige Berührungen tiefe Verletzungen erfahren hatte, kamen lange Zeit ausschließlich Methoden zum Einsatz, die sie allein anwenden konnte. Es half der Klientin sehr, sich mit ihren eigenen Händen zu »begreifen«: »Wenn ich etwas mit
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