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Haschisch

Haschisch

Titel: Haschisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar A. H. Schmitz
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fehlt, und das schreibt man den Jahren zu. Wahrscheinlich aber fehlte es immer. Die Hände waren groß, doch schlank und mit mehreren Opalen geschmückt. Diese drei Menschen hatten eine selbstverständliche anspruchslose Vornehmheit ohne aufdringende Eigenart, wie man es bei Nachbarn im Theater oder Table d'hôte gern hat, die durch nichts stören, nicht einmal Interesse erwecken. Dennoch fühlte ich einen Zwang, mich nach ihnen umzudrehen. Ich glaubte zu bemerken, daß mich die Dame gleichfalls beobachtete. Vielleicht ist es die Unbekannte, dachte ich gleichgültig, aber dieser Gedanke kam mir natürlich bei sehr vielen Frauen. Ich bestellte Kaffee und benutzte die Gelegenheit, während der Kellner abdeckte, meinen Platz zu wechseln, so daß ich die Fremden vor Augen hatte. Ich bemerkte, wie die Dame unruhig wurde und mit plötzlichem Eifer zu dem alten Herrn sprach. Dieser beglich die Rechnung, die drei verließen das Restaurant.
    Am folgenden Tage erhielt ich zwei Briefe. »Die Komödie ist aus«, lautete der eine in der gewohnten Schrift, »ich fühle mich erkannt, lassen wir die Masken fallen.« Der andere trug ähnliche, doch natürlichere, offenbar unverstellte Züge. Er enthielt eine förmliche Einladung zum Ball bei einer mir völlig unbekannten Dame. Auf unsere phantastischen Orgien schien diese Frau willens, einen unvermeidlichen Flirt zu setzen oder vielleicht wirklich gar eine Liebschaft. Ich aber zog vor, meine phantastische Geliebte nicht aus dem Grab zu erwecken.
    Helena war in die Immaterialität zurückgekehrt. Um den angebotenen Ersatz anzunehmen, war ich im Augenblick doch zu verwöhnt. Bald verließ ich H. Ich habe die Dame nie wieder gesehen.
    *
    Der Erzähler schwieg. Ich hatte das trostlose Gefühl, daß nun etwas fertig, unwiederbringlich vorbei sei. Ein Leben hörte auf, ohne daß ich tot war. Die anderen schienen Ähnliches zu empfinden.
    »Eine neue Geschichte«, rief jemand, »diese Leere ist ja unerträglich!«
    Wir lagen wie blind in einer dunklen Höhle, hungrig nach der menschlichen Stimme.
    Unser Leben, unser Wille war erstarrt. Nur die Einbildungskraft wachte und verlangte – selbst unfruchtbar –, daß ein anderer, Stärkerer, Nüchterner sie mit Vorstellungen füllen solle.

Eine Nacht des Achtzehnten Jahrhunderts
    Und irgendeiner kam und ließ eine helle heitere Musik über uns ergehen, lustig wie eine Gavotte oder eine Passacaglia des achtzehnten Jahrhunderts. Um uns erstand eine helle Kirche, überall schwebten gutgenährte Amoretten, die Fruchtschnüre von Loge zu Loge trugen. Gewundene, goldgezierte Säulen umgaben ein blau und rosa Altarbild. Und wie lustig die Herzoginnen davor knieten! Wie das nach Puder roch; alle lachten über den famosen Priester, der sie mit richtigen Taschenspieler-Kunststücken unterhielt. Ich bat den Sakristan, der an mir vorüber wollte, um Erklärung. Liebenswürdig, wie ein weltgewandter Jesuit, nannte er mir die Namen aller Anwesenden. Der Priester war der berühmte Graf von Saint-Germain, die am prächtigsten gekleidete Dame die Herzogin von Chartres. Wie war ich nur hergekommen? Was sollte ich an einem Orte tun, wo ich keinen Menschen kannte? Obgleich ich mich deutlich erinnerte, den Grafen schon einmal auf einem Kupferstich gesehen zu haben. Da fiel mir ein, daß ich ja noch heute mit ihm gespeist hatte, daß er mich irgendwohin mitnehmen wollte zu Freunden. Ich ärgerte mich, daß er mich nun allein ließ.
    »Alta-Carrara!« rief ich gereizt.
    »Pst, pst«, flüsterte der Sakristan begütigend, »verraten Sie ihn doch nicht! Warum immer gleich Namen nennen? Hier heißt er Graf von Saint-Germain. Sie müssen ihn im neunzehnten Jahrhundert getroffen haben. Dort nennt er sich Alta-Carrara. Neulich war eine Dame aus den vierzehnten Jahrhundert hier, die nannte ihn Buonaccorso Pitti, Sie sehen, alles ist relativ«, sagte er pfiffig.
    »Und du, unausstehlicher Schwätzer«, fragte ich. »Welchem Jahrhundert bildest du dir ein anzugehören?«
    »Ich?« fragte er stolz, »natürlich dem achtzehnten, Sie hingegen sind so unhöflich, daß Sie nur in das neunzehnte passen. Ich schreibe heute – mit Vergunst – den 15. September 1768.«
    Mit einer überaus gezierten Bewegung verließ er mich. Ich hatte eine unbezwingliche Wut auf Alta-Carrara, der noch immer seine Kunststücke vor dem Altar machte, und beschloß, einen günstigen Augenblick abzuwarten, um ihn zur Rede zu stellen. Einstweilen zog ich einen langen, gewundenen Schnörkel von einer

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