Hasenherz
erzählt den Leuten zuviel. Dieser Mann vom Kirchenvorstand trägt jetzt vermutlich herum, daß der Pfarrer seine üblen Scherze treibt mit einem armen, geplagten Menschen.»
Rabbit lacht wieder. Er bekommt Kaffee in einer dünnwandigen flachen Tasse mit goldenem Monogramm, und Lucy setzt sich ihm gegenüber an den Tisch und trinkt mit. «Er hat also gesagt, ich höre jetzt auf, unartig zu sein», sagt Rabbit.
«Ja. Er ist überglücklich. Er ist nahezu jubelnd weggegangen heute morgen. Er denkt, daß dies die erste konstruktive Tat ist, die er voll bracht hat, seit er in Mr. Judge ist.»
Rabbit gähnt. «Ich wüßte nicht, was er getan hat.»
«Das weiß ich auch nicht», sagt Lucy. «Aber wenn man ihn reden hört, möchte man meinen, die ganze Angelegenheit habe auf seinen Schultern gelastet.»
Diese Andeutung, daß er gelenkt worden ist, geht ihm gegen den Strich. Er fühlt, wie sein Lächeln einfriert. «So? Redet er darüber?»
«Unausgesetzt. Er mag Sie sehr. Ich weiß nicht, warum.»
«Ich bin eben so liebenswert.»
«Das höre ich immer wieder. Die arme alte Mrs. Smith haben Sie sich auch um den kleinen Finger gewickelt. Sie findet, daß Sie herrlich sind.»
«Und Sie finden das nicht?»
«Ich bin vielleicht nicht alt genug dazu. Wenn ich dreiundsiebzig bin, dann vielleicht.» Sie führt die Tasse zum Mund und trinkt, und der Dampf des braunen Kaffees schlägt ihr ins Gesicht und läßt die Som mersprossen auf ihrer schmalen weißen Nase schärfer hervortreten. Sie ist ein mutwilliges Ding, jawohl, das ist ganz deutlich, ein mutwilliges Ding. Sie setzt die Tasse ab und sieht ihn mit runden, grünen Augen an, und der kleine dreieckige Raum zwischen ihren Brauen blickt und spöttelt ebenfalls. «Ach, sagen Sie, wie fühlt man sich so, wenn man ein neuer Mensch geworden ist? Jack hofft immer, daß ich mich mal erneuern werde, und ich möchte wissen, was man da zu erwarten hat. Fühlen Sie sich ?»
«Ich fühle mich nicht verändert.»
«Aber Sie benehmen sich anders.»
Er knurrt: «Ach wo» und rutscht auf dem Stuhl hin und her. Warum ist ihm so unbehaglich zumut? Sie legt es darauf an, daß er sich blöde und weichlich vorkommt, nur, weil er zu seiner Frau zurückgehen will. Es stimmt schon, er benimmt sich anders; er empfindet ihr gegenüber auch anders. Er hat die Nonchalance verloren, mit der er ihr damals so selbstverständlich eins hintendrauf geben konnte. Er sagt: «Letzte Nacht, als wir hierher fuhren, hatte ich das Gefühl, wie wenn ein schnurgerader Weg vor mir herliefe; vorher hab ich wie im Busch gelebt, und es war gleichgültig, welchen Weg ich nahm.»
Ihr kleines Gesicht über der Kaffeetasse, die sie mit beiden Händen hält wie einen Suppennapf, trägt einen hingerissenen Ausdruck. Er denkt, sie wird gleich lachen, aber sie lächelt nur still. Er denkt:
Dann denkt er an Janice, an ihre gelähmten Beine, an ihr Geschwätz über Zehen und Liebe und Orangeade, und vielleicht lassen diese Gedanken einen Rolladen vor seinem Gesicht herunter, denn Lucy Eccles wendet ungeduldig den Kopf weg und sagt: «Sie machen sich jetzt besser schleunigst auf Ihren hübschen schnurgeraden Weg. Es ist zwanzig vor eins.»
«Wie lange geht man bis zur Bushaltestelle?»
«Nicht lange. Ich würde Sie in die Klinik fahren, wenn die Kinder nicht wären.» Sie horcht. «Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht mehr weit.»
Er zieht sich die Socken an, und unterdessen schleicht sich das ältere von den beiden Mädchen in die Küche; es trägt nur ein Höschen.
«Joyce.» Lucy will die leeren Tassen gerade in den Ausguß stellen und bleibt auf halbem Weg stehen. «Du gehst sofort wieder in dein Bett.»
«Hallo, Joyce», sagt Rabbit. «Wolltest du dir den ansehn?»
Joyce starrt ihn an und streichelt die Wand mit ihren Schulterblät tern. Ihr länglicher goldener Bauch wölbt sich nachdenklich vor.
«Joyce», sagt Lucy, «hörst du nicht?»
«Warum hat er kein Hemd an?» fragt das Kind präzis.
«Ich weiß nicht», sagt Lucy. «Ich nehme an, weil er seine Brust so hübsch findet.»
«Ich habe ein Trikothemd an!» protestiert Rabbit. Es ist geradeso, als nähme keiner von den beiden das zur Kenntnis.
«Ist das sein Buu-sen?» erkundigt Joyce sich.
«Nein, Liebling, nur Damen haben einen Busen. Das haben wir doch schon mal besprochen.»
«Meine Güte, wenn's euch so nervös macht», sagt Rabbit und streift sich das Hemd über. Es ist zerknautscht,
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