Hasenherz
Kragen und Manschetten sind grau. Als er in die Kastagnetten-Bar ging, war es ganz sauber. Er hat kein Jackett, er ist zu hastig von Ruth aufgebrochen. «Also dann», sagt er, die Segel streichend, «vielen Dank.»
«Keine Ursache», sagt Lucy. «Seien Sie brav!» Die beiden Frauen begleiten ihn den Korridor entlang. Lucys weiße Beine zerfließen bleich mit der nackten Brust des Kindes. Die kleine Joyce starrt ihn noch immer unverwandt an. Er möchte gern wissen, was sie wohl so beschäftigt. Kinder und Hunde wittern ja so manches. Er versucht abzuschätzen, wieviel Spott wohl in diesem «Seien Sie brav!» gelegen hat und was es wohl heißen sollte, falls überhaupt etwas gemeint war damit. Er wünscht, sie könnte ihn fahren. Er würde jetzt gern in einem Auto mit ihr sitzen. Nicht, um etwas anzufangen mit ihr, sondern einfach, um zu ertasten, wie die Dinge stehen. Er kann nicht aufbrechen, und dies Zögern zieht die Luft zwischen ihnen beiden straff.
Sie stehen an der Tür, er und Eccles’ kinderhäutige Frau, und in Schenkelhöhe schwebt Joyces Gesicht und sieht zu ihnen hoch, mit weitem Mund und gewölbten Brauen, wie der Vater, und ganz tief unten Lucys lackierte Zehnägel, winzige leuchtendrote Muscheln in einer Reihe auf dem Läufer. Er schlägt einen leisen Ton des Verzichts auf der Luftsaite an und legt die Hand auf die Türklinke. Daß nur Damen einen Busen haben, das kommt ihm idiotischerweise nicht mehr aus dem Sinn. Er sieht von den lackierten Nägeln zu Joyces beobach tendem Gesicht auf und von da zu Lucys Busen, den zwei zugespitzten Höckern unter der durchgeknöpften Bluse, unter deren sommerlich leichtem Gewebe der weiße Schatten des Büstenhalters zu sehen ist. Als seine Augen dann bei denen Lucys ankommen, geschieht etwas Er staunliches im allgemeinen Schweigen: Die Frau zwinkert. Flüchtig wie ein Blitz. Vielleicht hat er es sich nur eingebildet. Er drückt die Klinke herunter und tritt auf den übersonnten Gartenweg hinaus, und in seiner Brust knackt es, als berste dort etwas.
Als er in der Klinik eintrifft, heißt es, Janice habe gerade für einen Augenblick das Baby bei sich, ob er nicht, bitte, warten möge? Er setzt sich wieder auf den Stuhl mit den Chromlehnen und blättert von hinten eine Ausgabe des durch, da tritt eine hochgewachsene Frau ein mit schönem grauem Haar und einer silbernen, feingerunzel ten Haut, die ihm so bekannt vorkommt, daß er sie unverhohlen anstarrt. Sie bemerkt das und ist gezwungen, etwas zu sagen. Rabbit spürt, daß sie ihn lieber übersehen hätte. Wer ist sie? Ihr Gesicht steigt ihm aus weiter Ferne auf. Widerstrebend wendet sie sich ihm zu und spricht ihn an: «Sie sind ein alter Zögling von Marty. Ich bin Harriet Tothero. Wir hatten Sie mal zum Abendessen bei uns. Ihr Name fällt mir auch gleich ein.»
Ja, natürlich, aber er erinnert sich ihrer nicht von jenem Abendessen her, sondern vom Sehen auf der Straße. Die meisten von den Jungen auf der Mt. Judge-Schule wußten, daß Tothero es nicht genau nahm mit der Ehe, und seine Frau erschien ihren unschuldigen Augen wie in dunkle Flammen gehüllt, wie eine wandelnde Märtyrerin, ein lebendiger Schatten der Sünde. Kaum, daß sie Mitleid mit ihr hatten; sie übte vielmehr eine morbide Faszination auf die Jungen aus. Tothero war ein solcher Hanswurst, ein solcher Windbeutel, ein solcher Schwadroneur, daß an ihm kein Stäubchen von seinen Missetaten haftenblieb; alles glitt ab von ihm wie Wasser von einem Entengefieder. An seiner Frau blieb alles hängen, an der hohen, silbernen, verschlossenen Gestalt seiner Frau, und diese Akkumulation von Bösem entlud sich wie ein elektri scher Schock auf die Gemüter der Jungen: hastig wandten sie immer die Augen von ihr ab, aus Furcht und aus Verwirrung. Harry steht auf, bestürzt, daß die Welt, in der sie sich bewegt, jetzt auch die seine ist. «Ich heiße Harry Angstrom», sagt er.
«Ja, richtig, das ist Ihr Name. Er war immer so stolz auf Sie. Er hat mir ganz oft von Ihnen erzählt. Gerade kürzlich noch.»
Kürzlich. Was hat er ihr erzählt? Weiß sie Bescheid über ihn? Hält sie ihn für schuldig? Ihr langes, lehrerinnenhaftes Gesicht gibt wie immer keinen Gedanken preis. «Ich hab gehört, er ist krank gewesen.»
«Er ist es noch, Harry. Sehr krank. Er hat zwei Schlaganfälle gehabt, einen hat er hier im Krankenhaus gekriegt.»
«Er ist hier?»
«Ja. Möchten Sie ihn nicht besuchen? Es würde eine große Freude für ihn sein. Nur für
Weitere Kostenlose Bücher