Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
Winter über habe ich gegen das Grab gekämpft, und dann, im April, sah ich aus dem Fenster, sah den großen jungen Mann, der all mein altes Laub verbrann te, und ich wußte, das Leben hat mich noch nicht verlassen. Das ist Ihr Besitz, Harry: Leben. Es ist ein sonderbares Geschenk, und ich weiß nicht, wie wir es eigentlich nutzen sollen, aber ich weiß, daß es das einzige wahre Geschenk ist, das wir je erhalten, und daß es ein gutes Geschenk ist.» Ihre Kristallaugen haben sich mit einer Flüssigkeit überzogen, die dicker ist als Tränen, und sie faßt Rabbit bei den Armen oberhalb der Ellenbogen, mit harten, braunen Klauen. «Schöner, star ker junger Mann», murmelt sie, und während ihre Augen sich wieder der Wirklichkeit öffnen, fügt sie hinzu: «Sie haben einen stolzen Sohn. Geben Sie acht auf ihn.»
    Sicher meint sie, er könne stolz sein auf seinen Sohn und müsse deshalb achtgeben auf ihn. Er ist gerührt von ihrer Zärtlichkeit, er möchte sie ihr vergelten und hat ein «Nein» herausgepreßt, als sie von ihrem Tod sprach. Aber seine rechte Hand hält die zertrümmerte, schmelzende Pralinenmasse fest, und so steht er hilflos und steif da und hört sie mit bebender Stimme sagen: «Leben Sie wohl. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen alles Gute.»
    In der Woche, die auf diesen Segen folgt, sind er und Nelson oft glücklich miteinander. Sie machen Spaziergänge draußen vor der Stadt. Eines Tages stoßen sie auf ein Softballspiel, das auf dem High School- Platz ausgetragen wird, von Männern mit dunklen, runzeligen Arbei tergesichtern über protzigen Filzuniformen. Die eine Mannschaft trägt den Namen einer Feuerwehrstelle in Brewer, die andere den des Son nenschein-Sportvereins. Die Uniformen sind vermutlich dieselben, die Rabbit damals auf dem Dachboden hängen sah, als er sich in Totheros Zimmer schlafen legen wollte. Die Anzahl der Zuschauer auf der dauererrichteten Tribüne ist nicht größer als die der Spieler. Überall, hinter der Tribüne und der aus Maschendraht und Eisenröhren gezoge nen Rückseite, balgen und hetzen und zanken sich Jungen in Turnschu hen. Rabbit und Nelson sehen sich ein paar Spielrunden an, und unter dessen rutscht die Sonne in die Bäume hinein. Eine uralte, vertraute, papierene Wärme durchflutet Rabbit: die schrägen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht, die spärliche, desinteressierte Zuschauermenge, die streitsüchtigen Unterhaltungen der Jungen, der wirbelnde Staub auf dem gelben Spielfeld, die Mädchen in Shorts, die vorbeischlendern und Schokolade essen. Kindliche braune Beine: plump die Knöchel, weich und schmal die Schenkel. Sie wissen so viel, zumindest ihre Haut. Jungen in ihrem Alter, knochige Bohnenstangen in Blue Jeans und Kegelschuhen, die in wüsten Streit entbrennen, ob Williams ausschei den mußte oder nicht. Mantle war zehntausendmal besser. Williams war zehnmillionenmal besser. Rabbit und Nelson teilen sich eine Oran geade, die sie bei einem beschürzten Mann gekauft haben, der im Schatten seine Getränkebude aufgeschlagen hat. Der Dampf des trok- kenen Eises, das ffp, wenn die Haube von der Orange abgezogen wird. Die künstlich schmeckende Süße strömt Rabbit ins Herz. Nelson be kleckert sich die Brust, als er seinen Teil essen will.
    Anderntags gehen sie auf den Spielplatz. Nelson hat Angst vor der Schaukel. Rabbit zeigt ihm, wie man's macht, und stößt ihn ganz sacht ab, von vorn, damit das Kind es sieht. Lachen, Betteln: «Will runter!»; Tränen: «Will runter, will runter, Pa-piii!» Vom Knien im Sandkasten bekommt Rabbit ein bißchen Kopfschmerzen. Das Gummibumsen beim Roofball-Spiel und das Klicken der Damesteine drüben im Pavil lon appellieren an seine Erinnerung, und der lang vergessene Geruch des schmalen Plastikbands, aus dem man Armreifen und Pfeifenschnüre flechten kann, und der Geruch nach Kleister und nach dem Schweiß an den Griffen der Turngeräte – alles wird ihm von einer Brise zugetragen, die mit Kinderstimmen abgepaspelt ist. Und er erkennt die Wahrheit: das Etwas, das aus seinem Leben gewichen ist, ist unwiederbringlich dahin; er mag danach greifen, er wird es nicht mehr erreichen. Er mag danach suchen, er wird es nie mehr finden. Es ist hier, in dieser Stadt, in diesen Düften, in diesen Stimmen. Es liegt für immer hinter ihm. Das einzige, was ihm zu tun bleibt, ist, sich in das System zu fügen und Nelson die Chance zu geben, das alles ebenso unbeschwert auszuko sten, wie er selber es gekostet hat. Die Fülle

Weitere Kostenlose Bücher