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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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habe.»
    «Natürlich nicht. Das habe ich ganz und gar nicht sagen wollen.»
    «Doch. Ich glaube, du hast sogar recht», sagt er und schleppt sich aus dem Sessel hoch. Er geht auf den Flur hinaus, zum Telefon, und zieht aus der Brieftasche wieder das Zettelchen mit der Nummer, die in Bleistift unter dem undeutlich gekritzelten Namen Ruth Leonard steht. Einmal hat diese Zahl ihren Dienst getan, aber diesmal nagt die Elektri zitätsmaus vergebens an der fernen Metallmembran. Er läßt den Appa rat zwölfmal anschlagen, dann legt er auf. Er wählt die Nummer noch einmal, läßt es siebenmal läuten und legt den Hörer wieder auf. Als er zurückkehrt ins Arbeitszimmer, wartet Lucy schon auf ihn.
    «Jack, es tut mir leid. Ich hab wirklich nicht gemeint, daß du verant wortlich bist für alles. Natürlich bist du das nicht. Sei doch nicht so töricht.»
    «Es ist schon gut, Lucy. Die Wahrheit darf uns nicht verletzen.» Diese Worte sind ein Schatten seiner These, daß, wenn der Glaube Wahrheit ist, nichts Wahres mit dem Glauben in Konflikt geraten kann.
    «O Gott, jetzt kehrt er wieder den Märtyrer hervor. Na schön, ich sehe, daß du es dir in den Kopf gesetzt hast, schuld daran zu sein, da kann ich sagen, was ich will, es wird deine Ansicht nicht ändern. Ich kann mir also alle Worte sparen.»
    Er gibt keine Antwort, er will ihr helfen beim Wortesparen, aber einen Augenblick später fängt sie in ruhigerem Ton wieder an: «Jack?»
    «Was?»
    «Warum warst du so erpicht darauf, die beiden wieder zusammenzubringen?»
    Er nimmt die Zitronenscheibe von seiner Untertasse und versucht, durch sie ins Zimmer zu schielen. «Die Ehe ist ein Sakrament», sagt er.
    Halb erwartet er, sie werde lachen, aber statt dessen fragt sie ganz ernsthaft: «Auch eine schlechte Ehe?»
    «Ja.»
    «Aber das ist doch grotesk. Das ist gegen allen gesunden Verstand.»
    «Ich glaube nicht an den sogenannten gesunden Verstand», sagt er. «Wenn's dich zufrieden macht: ich glaube an überhaupt nichts.»
    «Das macht mich keineswegs zufrieden», sagt sie. «Du bist ja ein Psychopath. Aber es tut mir leid, daß das passiert ist.» Sie stellt die Tassen zusammen und rauscht davon in die Küche und läßt ihn allein. Nachmittagsschatten weben sich wie Spinnennetze über die Bücher wände; die meisten von den Bänden gehören nicht ihm, sondern seinem Vorgänger, dem vornehmen, vielbewunderten Dr. Langhorne. Wie erstarrt sitzt er da und wartet auf irgend etwas, aber nicht lange. Das Telefon läutet. Er stürzt zum Apparat, um vor Lucy dran zu sein. Durchs Fenster über dem Sims, auf dem das Telefon steht, sieht er, wie seine Nachbarin Wäsche von der Leine nimmt.
    «Hallo?»
    «He, Jack? Hier ist Harry Angstrom. Hoffentlich störe ich nicht gerade bei irgendwas.»
    «Nein, nein, gar nicht.»
    «Es sitzen nicht gerade ein paar alte Damen um Sie rum mit ihren Strickstrümpfen oder so was?»
    «Nein.»
    «Na dann. Ich versuch dauernd, bei mir in der Wohnung anzurufen, aber es meldet sich niemand, und allmählich werde ich ein bißchen nervös. Ich bin letzte Nacht nicht dagewesen und kriege jetzt so ein mulmiges Gefühl. Ich würde gern nach Haus gehn, aber ich weiß nicht, ob Janice nicht irgendwas angestellt hat, zum Beispiel die Polizei alarmiert. Haben Sie eine Ahnung?»
    «Harry, wo sind Sie?»
    «Ach, in irgendeinem Drugstore in Brewer.»
    Die Nachbarin hat das letzte Laken zusammengefaltet, und Jacks Augen ruhen jetzt auf der leeren weißen Leine. Das scheint eine der Aufgaben zu sein, die die Gesellschaft für ihn hat: erschütternde Nach richt zu überbringen. Seine Mundhöhle dörrt aus, als er sich innerlich wappnet, diese Pflicht zu erfüllen. Keiner, der je die Hand an den Pflug gelegt … Er öffnet die Augen weit, so wird er der Nähe an seinem Ohr ein wenig entgehen können. «Ich glaube, um Zeit zu sparen, ist es besser, wenn ich's Ihnen gleich am Telefon sage», fängt er an. «Harry. Etwas Entsetzliches ist uns geschehen.»
    Wenn man einen Strang dreht und immer weiter dreht, verliert er seine gerade Gestrafftheit, und ein Knoten, eine Schlinge wirft sich plötzlich auf. Und eine solche Schlinge hat sich in Harry hochgezwirbelt, als Eccles ausgeredet hat. Er weiß nicht, was er Eccles antwortet; er weiß nur, daß da stapelweise die Krämerware herumliegt in mißfar bigen Verpackungen; durch die Fensterchen der Telefonzelle kann er sie sehen. An der Wand ist ein Banner befestigt, auf dem steht rot ein einziges Wort: P ARADICHLOROBENZEN .

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