Hasenherz
einer Energie, die die Trauer stört, an ihr rüttelt und das ganze Haus zum Einstürzen bringen kann. Sich selbst will er schützen, wenn er den Jungen festhält.
Eccles kommt die Treppe herunter und stellt sich zu ihnen und sieht sie an. «Warum gehn Sie nicht ein bißchen raus mit ihm?» fragt er. «Er hat einen grauenhaften Tag gehabt.»
Sie gehen alle drei hinaus. Eccles umschließt Harrys Hand mit einem langen, stillen Druck und sagt: «Bleiben Sie hier. Sie werden gebraucht, auch wenn's Ihnen niemand sagt.» Eccles fährt davon in seinem Buick, und Rabbit und Nelson setzen sich ins Gras neben der Auffahrt und werfen Kieselsteine auf den Bürgersteig hinaus. Der Junge lacht und schnattert aufgeregt, aber hier draußen stört es wohl niemanden. Harry fühlt sich ein wenig beschützt von dem, was Eccles ihn geheißen hat. Über den Bürgersteig gehen Menschen, die von der Arbeit kommen. Fast hätte Nelson einen getroffen. Sie wechseln das Wurfziel; der grüne Rasensäer, der gegen die Garagenwand lehnt, eignet sich besser dazu. Harry trifft ihn viermal im Laufen. Es ist zwar noch ganz hell, aber das Sonnenlicht ist ausgegangen, nur wenige, dünne Fetzen hängen noch in den Baumkronen. Das Gras wird feucht, und er überlegt, ob er Nelson nicht heimlich ins Haus bringen und verschwinden soll.
Mr. Springer tritt in die Tür und ruft: «Harry!» Sie gehen zu ihm. «Becky hat ein paar Sandwiches gemacht statt einem richtigen Abend essen», sagt er. «Ihr sollt reinkommen, Sie und der Junge.» Sie gehen in die Küche, und Nelson ißt. Harry will nichts zu sich nehmen, nur ein Glas Wasser. Mrs. Springer ist nicht in der Küche, und Harry ist froh darüber. Ihr Haß gegen ihn hängt wie ein Geruch im Raum. «Harry», sagt Mr. Springer und steht auf und streicht sich mit zwei Fingern über das Bärtchen, als schicke er sich an, ein finanzielles Zugeständnis zu machen, «Reverend Eccles und Becky und ich, wir haben vorhin eine Unterredung gehabt. Ich will nicht sagen, daß ich Sie freispreche von aller Schuld, natürlich finde ich, daß Sie Schuld haben. Aber Sie sind nicht der einzige. Janices Mutter und ich, wir haben ihr nie ein Gefühl des Sicherseins gegeben, wenn Sie so wollen, wir haben ihr nie zu verstehn gegeben, daß sie uns willkommen war, ich weiß nicht» – seine listigen kleinen rosa Augen sind gar nicht listig jetzt, sie sind verwischt und rot gerieben –, «wir haben versucht, ach, lassen Sie. Jedenfalls» – das knattert jetzt barsch heraus; er hält inne, um seine Stimme wieder ruhiger werden zu lassen –, «das Leben muß weitergehn. Können Sie mir folgen?»
«Jawohl.»
«Das Leben muß weitergehn. Wir müssen weitermachen mit dem, was uns geblieben ist. Becky ist zwar noch zu aufgeregt, um Sie zu sehn, aber sie ist derselben Meinung. Wir haben darüber gesprochen und sind der Ansicht, daß es so die einzige Möglichkeit ist. Ich meine, was ich sagen wollte, ich sehe, Sie sind verwundert, was ich sagen wollte, ist, wir betrachten Sie als zu unserer Familie gehörig, Harry, trotz» – er weist mit dem Arm vage zur Treppe hin –, «trotz dieser Sache da.» Der Arm fällt wieder herunter, und Mr. Springer setzt hinzu: «Trotz dieses Unglücksfalls.»
Harry deckt eine Hand über die Augen. Sie sind so heiß und vertra gen das Licht kaum. «Danke», sagt er, er schluchzt es fast vor lauter Dankbarkeit diesem Mann gegenüber, den er immer so verachtet hat und der jetzt eine so großzügige Ansprache hält. Und im Dickicht des Unglücks rührt sich seine Wohlerzogenheit, und er versucht, eine Dankrede zu formulieren. Aber alles, was er zustande bringt, ist: «Ich verspreche, daß ich mich an die Abmachung halten werde.» Dann verstummt er, sprachlos gemacht von dem unterwürfigen Klang seiner Stimme. Warum hat er bloß Abmachung gesagt?
«Ich weiß, daß Sie das tun werden», sagt Springer. «Reverend Eccles verbürgt sich dafür.»
«Nachtisch», sagt Nelson entschieden.
«Nelly, nimm doch einfach ein Plätzchen mit ins Bett», sagt Mr. Springer mit einer vertraulichen Aufgeräumtheit, die zwar gezwungen klingt, aber Rabbit doch daran erinnert, daß der kleine Junge monate lang hier gelebt hat. «Ist es nicht Zeit für dich, zu Bett zu gehen? Soll Mom-Mom dich raufbringen?»
«Papi», sagt Nelson und rutscht von seinem Stuhl herunter und geht zu seinem Vater.
Beide Männer sind verlegen. «Na gut», sagt Rabbit. «Zeig mir dein Zimmer.»
Springer holt zwei Plätzchen aus der Speisekammer,
Weitere Kostenlose Bücher