Hasenherz
Und die ganze Zeit, während er versucht, Eccles zu folgen, liest er dieses Wort, beobachtet es, wo es wohl abreißt, denkt, ob wohl irgendwer es aussprechen kann. Im Augenblick, da er endlich begreift, im Augenblick, da sein Leben in den tiefsten Schacht abstürzt, tritt eine dicke Frau an den Ladentisch und bezahlt zwei Schachteln Kleenex. Er geht in den Sonnenschein draußen vor dem Drugstore hinaus und schluckt, damit die Schlinge, die immer höher steigt in ihm, ihn nicht ersticke. Es ist ein heißer Tag, der erste Sommertag; die Hitze strömt vom glitzernden Pflaster in die Gesichter der Fußgänger auf, flimmert sie von der Seite an, von den reflektierenden Schaufenstern und heißen Steinfassaden. Die Gesichter in diesem weißen Licht tragen alle den spezifisch amerikanischen Ausdruck: die Augen zu Spalten geschlossen, die Münder leicht geöffnet und nach unten gezogen, als wollten sie gerade etwas Drohendes und Brutales ausstoßen. Die Autofahrer unter ihren gleißenden Wagendächern auf dem Fahrdamm braten im stockenden Verkehr. Und über allem hängt eine dicke Milch; als sei der Himmel zu erschöpft, um aufzuklaren. Harry wartet an einer Straßenecke, zusammen mit ein paar rotgesichtigen, schwitzenden Einkäufern, auf einen Bus nach Mt. Judge, Nummer 16 A. Endlich stoppt einer laut zischend am Kantstein, aber er ist schon überfüllt. Harry klammert sich an eine eiserne Haltestange im hintern Teil und bemüht sich, nicht zusammenzuklappen, mit dieser Schlinge in der Brust. Gewölbte Reklamen unterm Dach werben für Filterzigaretten, Sonnenöl und internationale Nächstenliebe.
Mit einem solchen Bus ist er letzte Nacht nach Brewer gefahren, und er ist zu Ruth gegangen, aber es brannte kein Licht in ihrer Wohnung, und niemand öffnete die Tür auf sein Klingeln, nur durch die Milch glasscheibe, auf der F.X. Pelligrini steht, fiel ein trübes Licht. Er setzte sich auf die Stufen und wartete, sah zum Feinkostladen hinüber, bis die Schaufenster erloschen, und betrachtete dann die leuchtende Fenster rose an der Kirche. Und als auch sie erlosch, verging ihm alle Hoffnung, und er fühlte sich zerschlagen und dachte daran, nach Haus zu fahren. Er schlenderte die Weiser Street hinauf, las alle Leuchtreklamen, sah die große Sonnenblume, aber kein Bus ließ sich blicken, und er ging immer weiter, bis ins südliche Viertel, und dann bekam er Angst, jemand könnte ihn erstechen oder ausrauben, und er ging in ein billiges Hotel und nahm sich ein Zimmer. Er schlief nicht gut, irgendwo draußen summte eine Neonröhre mit fehlerhaftem Kontakt, und eine Frau hörte nicht auf zu lachen. Er wachte früh genug wieder auf, um nach Mt. Judge zurückzufahren, einen Anzug anzuziehen und zur Arbeit zu gehen. Aber irgend etwas hielt ihn zurück. Irgend etwas hielt ihn den ganzen Tag zurück. Er versucht, sich klarzumachen, was es war, denn was immer es auch war, es hat seine Tochter gemordet. Er wollte Ruth wiedersehen, das war ein Grund, aber als er morgens wieder an ihrer Tür klingelte und sie nicht aufmachte, war es ja klar, daß sie nicht da war, daß sie wahrscheinlich mit irgendeinem Vollidioten nach Atlantic City gefahren war, aber trotzdem blieb er in Brewer, er ging in alle Warenhäuser hinein, in denen Musik von den Wänden rauschte, aß gegen Mittag ein Würstchen, lungerte vor einem Kino herum, ging aber nicht rein, weil er immer noch nach Ruth suchte. Er dachte, er werde ihre Schultern, die er einmal geküßt hat, irgendwo in der Menge auf glänzen sehen, oder das Ingwerhaar, das sie für ihn immer hat lose herabfallen lassen müssen, werde hinter einem Geburtstagskarten-Ständer flimmern. Aber die Stadt hat mehr als hunderttausend Men schen, alle Wahrscheinlichkeit war gegen ihn, aber er hatte ja so un übersehbar viel Zeit, er konnte Ruth ein andermal aufspüren. Nein, was ihn in der Stadt festhielt, obgleich sein Inneres sich immer mehr ver krampfte und er ahnte, daß zu Haus etwas nicht stimmte, was ihn immer weiter durch die kühlen Luftströme schwimmen ließ, die sich aus den geöffneten Türen der Kinosäle ergossen, was ihn verweilen ließ in den Warenhäusern, zwischen parfümierten Dessous, die Träume in ihm erweckten von all den zierlichen Hintern, denen diese Schleierge bilde ihren Duft geben sollten, Träume von den kleinen Brüsten, für die diese Schalen gedacht waren, was ihn zwischen Talmijuwelen und Salznüssen verweilen ließ, arme alte Jan, was ihn in den Park trieb, auf die Pfade, die er
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