Hasenherz
merkt, daß die Hitze in seinen Wangen Wut ist; er ist wütend, seit er die Raststätte verlassen hat, wo all die Nixen herumsaßen. Er ist so wütend, daß seine Wangen heiß sind und sein Mund und seine Nase ausgedörrt. Er stampft den Fuß aufs Gaspedal, als wolle er diese Viper von Straße zertreten, und verliert in einer Kurve beinah die Kontrolle über den Wagen; die beiden rechten Räder drohen, über den Straßenrand abzurutschen. Er bringt sie zwar zurück auf die Fahrbahn, aber die Tachometernadel bleibt weiterhin ganz rechts.
Er schaltet das Radio aus. Die Musik hat aufgehört, ein Fluß für ihn zu sein, auf dem er dahintreibt, sondern spricht stattdessen mit der Stimme der großen Städte zu ihm und fährt ihm mit feuchtschlüpfriger Hand über den Kopf. Aber er verbietet sich, Gedanken aufkommen zu lassen in der Stille, die ihn jetzt umgibt. Er will nicht denken, er will schlafen und aufwachen, in Sand gebettet. Wie idiotisch es ist, erst bis hierher gekommen zu sein. Um Mitternacht, da die Nacht halb herum ist.
Die Landschaft will sich einfach nicht verändern. Je länger er fährt, desto ähnlicher wird sie der Gegend um Mt. Judge. Dasselbe Gesträuch auf den Böschungen, dieselben verwitterten Reklamen für dieselben sinnlosen Erzeugnisse. Das nackte Gezweig der Bäume am oberen Rand der Scheinwerferkegel flicht dasselbe Netz. Nur scheint es hier noch dichtmaschiger zu sein.
Sein Instinkt meldet mit stärkerem Protest, daß er nach Westen fährt. Der Verstand aber ist bockig. Die einzige Möglichkeit, irgendwo anzu kommen, ist, sich zu entscheiden, wo man hin will, und dann loszuge hen. Sein strikter Plan war, sich vierzig Kilometer nach Frederick links zu halten, und diese vierzig Kilometer sind jetzt abgefahren, und wie wohl seine Instinkte sich schreiend dagegen zur Wehr setzen, biegt er jetzt in die Straße ein, die linker Hand abzweigt und keine Nummer trägt. Sie ist sehr dick eingezeichnet auf der Karte und müßte eigentlich beziffert sein, aber Rabbit sieht, daß sie nur ein Abkürzungsweg ist. Er muß daran denken, daß am Anfang seiner Sportlaufbahn, als Marty Tothero noch sein Trainer gewesen ist, er nie mit Absicht foul spielen wollte und dann immer erkennen mußte, daß er's doch getan hatte.
Die Straße ist auf viele Kilometer hin breit und durchaus vertrauens würdig, aber dann kommt plötzlich eine stark ausgebesserte Strecke, und danach steigt die Straße an und wird eng. Nicht, weil sie eng angelegt ist, sondern weil es sich ganz natürlich so ergibt: Die Ränder zerkrümeln sich, und der Wald auf beiden Seiten schlägt über ihr zusammen. Immer wilder windet die Straße sich in ihrem Kampf, Höhe zu gewinnen, und dann, ohne Warnung, schlüpft sie aus ihrer Asphalt haut und schlängelt sich unter einer Schmutzkruste weiter. Rabbit weiß inzwischen, daß dies nicht der richtige Weg ist, aber er hat Angst, den Wagen anzuhalten und zu wenden. Das letzte Hauslicht liegt meilen weit hinter ihm. Er versucht, die Unkrautmähne zwischen die Räder zu bekommen, und wenn sie ihm entwischt, peitschen Brombeerruten den Lack der Autoflanken. Baumstämme und Unterholz, das ist alles, was seine Scheinwerfer aus dem Dunkel schälen; tausendbeinige Schatten kriechen rückwärts durch das Dickichtgewebe, rückwärts zum schwar zen Mittelpunkt hin, wo irgendein Ungeheuer oder ein Gespenst lauert, das von der Sonde des Licht aufgestört werden könnte, und davor hat Rabbit Angst. Er hält die Geschwindigkeit und betet, betet, daß die Straße nicht aufhören möge, und ihm fällt ein, daß am Mount Judge selbst der verwachsenste, einsamste Weg schließlich doch ins Tal mün det. Die Ohren tun ihm weh, die Höhe macht ihnen zu schaffen.
Als Antwort auf sein Gebet wird er geblendet. Die Bäume an einer Wegkrümmung vor ihm züngeln wie Flammen empor, und ein Auto kommt um die Ecke und schleudert ihm das grelle Licht seiner weitauf gerissenen Scheinwerfer entgegen. Rabbit schlittert an den Straßengra ben, und gesichtslos wie der Tod pfeilt das gleißende Auto an ihm vorbei – mit einer Geschwindigkeit, die so hoch ist wie die seine. Länger als eine Minute muß Rabbit durch die beleidigende Staubwolke dieses Dreckskerls fahren. Aber die gute Botschaft macht ihn demütig, die Botschaft nämlich, daß diese Straße weiterführt. Und nach kurzer Zeit kommt es ihm so vor, als sei er in einem Park. Seine Scheinwerfer erfassen kleine grüne Fässer, auf denen B ITTE steht, und die Bäume zu beiden
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