Hasenherz
schüttet. Ja. Dort will er hin, und dann kann er alle Gedanken an den Wirrwarr hinter ihm auslöschen.
Er bezahlt dem Tankstellenwärter die zwei Dollar fürs Benzin – einem jungen, hochgewachsenen Farbigen, dessen geschmeidige, träge Glieder umbauscht sind von einem sackigen Overall und den zu umar men ihn ein höchst sonderbares Verlangen ankommt. Hier, kaum südlicher, fühlt die Luft sich schon viel wärmer an. Wärme flimmert in braunen und violetten Wellen zwischen den Lichtern der Tankstelle und dem Mond. Die Uhr im Fenster über den grünen Büchsen mit flüssigem Wachs steht auf neun Uhr zehn. Gelassen zieht der schlanke rote Sekundenzeiger über die Ziffern hin, und es ist, als ebne er Rabbit den Weg. Rabbit duckt sich in seinen Ford hinein, und in der muffigen Hitze summt er vor sich hin: «Jeeeder liebt den Cha Cha Cha.»
Er fährt sehr unbeirrt am Anfang. Über Asphalt und Schotter, durch Städte und Felder, widersteht Abzweigungen, die mit Sirenenstimmen locken, hat die Karte aufgeschlagen neben sich liegen, hält sich streng an die Reihenfolge der Straßennummern und besiegt den Drang in sich, blindlings gen Süden zu fahren. Irgendein Instinkt aber sagt ihm, daß er in westlicher Richtung fährt.
Das Land wird ungebärdiger. Die Straße macht großen Seen Platz und tunnelt sich unter Kiefern durch. Oben in der Windschutzscheibe geißeln die Telefondrähte unablässig die Sterne. Die Radiomusik gefriert nach und nach; der Rock-and-Rock-Rhythmus für die Halbstarken gerinnt zu alten Evergreens und Revue-Melodien und tröstlichen Songs aus den vierziger Jahren. Rabbit stellt sich dabei vor, wie Ehepaa re nach einem Abendessen im Lokal und einem Kinobesuch heimfah ren zu den Babysittern. Dann vereist auch diese Musik, und wahre Zubettgeh-Weisen greifen um sich. Klavier- und Vibraphonklänge büs cheln sich in hohen, spröden Oktaven zusammen, und eine Klarinet tengirlande zieht sich durch die Melodie wie ein Sprung im zugefrore nen Teich. Und dann greifen Saxophone das Thema auf und wiederho len ohne Ende dieselbe Acht.
Kurz vor Mitternacht wird Rabbit schläfrig, und er hält an einer Raststätte, um einen Kaffee zu trinken. Er weiß nicht warum, aber er fühlt sich anders als die andern Gäste. Die empfinden es auch so und beobachten ihn mit harten Augen, die wie Ziernägel in die weißen Gesichter geschlagen sind. Junge Männer in Reißverschlußjacken sit zen in den Nischen und teilen sich zu dritt ein Mädchen, und die Mädchen haben Apfelsinenhaar, das ihnen wie Seegras über den Rüc ken hängt oder das sie mit goldenen Spangen – Piratenbeute – lose hochgesteckt haben. An der Theke sitzen Paare mittleren Alters in Mänteln und neigen ihre Gesichter nach vorn, über Strohhalme in grauen Eiskremsodas. Ein Schweigen entsteht, als er eintritt, und die übertriebene Höflichkeit, mit der die müde Frau hinter der Theke nach seinen Wünschen fragt, läßt ihn den andern noch fremder erscheinen. Er bestellt sich mit ruhiger Stimme einen Kaffee und starrt auf den Tassenrand, um das schlitternde Gefühl in seinem Magen zu überkom men. Er hat gedacht und hat es immer so gelesen, daß Amerika, von einer Küste zurandern, überall gleich sei. Und er fragt sich jetzt: Stehe ich nur bei diesen Menschen hier außerhalb, oder geht es mir bei ganz Amerika so?
Als er wieder draußen ist in der ein wenig schneidenden Luft, hört er Schritte hinter sich heranhämmern, und er zuckt zusammen. Aber es ist nur ein Liebespaar, das sich bei den Händen hält und es eilig hat, den Wagen zu erreichen; ihre verflochtenen Hände wie ein Seestern, der durchs Dunkel hüpft. Das Nummernschild am Auto der beiden besagt, daß sie in West-Virginia wohnen. Alle Autos gehören nach West-Virgi nia, nur seines nicht. Jenseits der Straße senkt sich das waldige Land, und über den Baumkronen sieht er einen Berghang ragen, wie einen Pappausschnitt, der auf einem verblaßten blauen Bogen Papier aufgebaut ist. Widerwillig setzt Rabbit sich in seinen Ford, aber die schale Luft darinnen ist sein einziges Zuhause.
Er fährt durch Frederick, eine sehr deprimierende Stadt – deprimie rend deshalb, weil er vor einer Stunde schon dachte, er hätte sie erreicht, aber da war es erst Westminster. Er begibt sich auf die Straße 340. Sie entrollt sich mit entnervender Langsamkeit vor ihm; unermüdlich dehnt sich ihr schwarzes Band vor den Scheinwerfern hin, wie weit die Lichtkegel auch reichen. Der Teer hält die Reifen fest. Rabbit
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