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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Seiten sind gestutzt, und zwischen ihnen sind die geraden Kan ten von Picknicktischen und kleinen Pavillons und Buden zu erkennen. Und die Rundungen von Autos werden sichtbar; ein paar Wagen sind hart an der Straße geparkt, die Insassen aber haben es sich außer Sicht bequem gemacht. So stellt sich die Straße des Schreckens als eine Straße der Liebenden heraus. Und hundert Meter weiter hört sie auf.
    In einem rechten Winkel stößt sie auf eine ebene, breite Autostraße, die überschattet wird von der dunklen Wolke eines Bergrückens. Ein Wagen flitzt in nördlicher Richtung vorbei. Ein zweiter in südlicher. Straßenschilder gibt es nicht. Rabbit schaltet auf Leerlauf, zieht die Handbremse, dreht das Lämpchen an und vertieft sich in die Karte. Seine Hände und seine Beine von den Knien an abwärts zittern. Sein Gehirn hinter den sandigen Lidern flattert vor Erschöpfung. Es muß halb eins sein oder später. Die Autostraße vor ihm ist leer. Er hat die Nummern der Straßen vergessen, auf denen er gekommen ist. Er erin nert sich an Frederick, aber er findet es nicht, und dann merkt er, daß er in einer Gegend westlich von Washington sucht, wo er nie gewesen ist. Es sind so viele rote und blaue Linien eingezeichnet und lange Namen und kleine Städte, Quadrate, Kreise und Sterne. Er wandert mit den Augen nach Norden, aber das einzige, was er dort wiedererkennt, ist die gepunktete, gerade Grenzlinie zwischen Pennsylvania und Mary land. Die Mason-Dixon-Linie. Das Schulzimmer fällt ihm ein, in dem er dies gelernt hat; die am Fußboden festgeschraubten Pulte, ihre verschrammte Politur, das milchige Schwarz der Wandtafel, all die Hintern den Mittelgang entlang, in alphabetischer Reihenfolge. Seine Augen streiken. Er hört in seinem Kopf eine Uhr ticken, mit monströser Langsamkeit, sie tickt ganz sanft und ganz weit – so weit weg wie das Rauschen der Wellen an der Küste, die er hat erreichen wollen. Er zwingt seine Augen, den Schleier, der sie verhängt, zu durchdringen und es wieder mit der Karte aufzunehmen. Plötzlich springt vor ihnen auf, aber als Rabbit die genaue Position der Stadt festlegen will, gerät sie wieder außer Sicht, und vor Zorn tut ihm die Nasenwur zel weh. Alle Namen zerfließen, und die roten Linien und die blauen Linien und die Sterne, alles verwebt sich zu einem Netz, in dem er gefangen ist. Er krallt sich darin fest und reißt daran und reißt keuchend vor Erbitterung einen großen dreieckigen Fetzen aus der Karte heraus, und dann zerreißt er das übrige Stück, und dann legt er, etwas ruhiger geworden, diese drei Teile aufeinander und reißt sie wiederum durch, und dann reißt er diese sechs Teile durch und immer so weiter, bis er einen ganzen Schnipselhaufen in der Hand hat, den er zu einem Ball zusammenpressen kann. Er kurbelt das Fenster herunter und wirf t den Ball hinaus; er explodiert, und die zerkrumpelten Fetzchen flattern wie rumpflose Flügel über das Autodach davon. Dann kurbelt Rabbit das Fenster wieder rauf. Er schiebt alle Schuld auf den Bauern mit der Brille und den zwei Hemden. Komisch, wie sehr ihm der Mann in der Kehle steckengeblieben ist. Er kann nicht an ihm vorbeidenken, an seiner selbstgefälligen Spießigkeit, an seiner Gediegenheit. Er ist vorhin, an der Tankstelle, über ihn gestolpert, und er stolpert immer noch über ihn; er kann ihn sich nicht von den Füßen wegschaffen, er fühlt sich im Gehen behindert wie von zu langen Schnürsenkeln oder einem harten Stock, der ihm zwischen die Beine geraten ist. Der Alte hat sich über ihn lustig gemacht – sei es durch seinen Mund, sei es durch die gemessenen Bewegungen seiner Hände, sei es durch seine haarigen Ohren, sei es sonstwie durch seinen Körper – hat sich lustig gemacht über die ver stohlenen, unausgesprochenen Hoffnungen, die in manchen Augen blicken Harry festen Boden unter die Füße schieben. Entscheide dich, wohin du gehen willst, und dann geh: das haut so ganz und gar daneben, und doch besteht die Möglichkeit, daß dies, so wenig es auch sein mag, alles ist. Auf jeden Fall meint Rabbit, wenn er seinem Instinkt vertraut hätte, wäre er jetzt in South Carolina. Er wollte, er hätte eine Zigarette, die ihm helfen könnte, herauszufinden, was sein Instinkt nun wirklich meint. Dann beschließt er, im Auto ein paar Stunden zu schlafen.
    Aber ein Wagen bricht auf im Knutschpark hinter ihm, und die Scheinwerfer schwenken herum und treffen Rabbit im Nacken. Er ist mit seinem Wagen mitten auf

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