Hasenherz
geblendet von der Sonne und starr vor Erschöpfung und kann diesem Gedanken nicht folgen.
«Es handelt sich um Janice Springer, nicht wahr?» fragt Tothero.
«Mhm. Gott, ist sie dumm. Nicht zu fassen.»
«Harry, das ist ein hartes Wort. Das darf man von niemandem sagen.»
Rabbit nickt, weil Tothero selber davon überzeugt zu sein scheint. Ihm wird allmählich schwach unter dem Gewicht der Pausen. Sie kommen ihm jetzt länger vor als früher – als empfinde Tothero selber ihr Gewicht. Rabbit bekommt wieder Angst; er hat den Verdacht, daß sein alter Trainer morsch im Kopf geworden ist, und fängt noch einmal von vorn an. «Ich dachte, ich könnte vielleicht irgendwo im Sonnen schein-Club ein paar Stunden schlafen. Wenn's nicht möglich ist, kann ich ebenso gut nach Haus gehn. Ich hab genug.»
Zu seiner Erleichterung gerät Tothero da in eilfertige Geschäftigkeit, packt Rabbit am Ellenbogen, steuert mit ihm die Straße entlang und sagt: «Aber natürlich Harry, du siehst auch zum Erbarmen aus, Harry, zum Erbarmen.» Seine Hand umschließt Rabbits Arm wie eine eiserne Klammer, und während Rabbit so vorwärts geschoben wird, holpern ihm alle Knochen durcheinander, weil er so lange auf einem Fleck gestanden hat. Etwas Irres liegt in einem derartig festen Griff, und das mindert den Trost dieses Zupackens. Und auch Totheros Stimme, die präzis geworden ist, hastig und munter, schneidet zu scharf in Rabbits wattigen Zustand hinein. «Du hast mich nach zweierlei gefragt», sagt Tothero, «nach zweierlei. Nach einem Platz zum Schlafen und nach einem Rat. Den Platz zum Schlafen, Harry, den will ich dir schon beschaffen, vorausgesetzt, daß wir beiden ein ernstes und langes, ein sehr ernstes Gespräch über deine Ehekrise führen, wenn du wieder aufgewacht bist. Und damit du's weißt, ich sage das nicht, weil ich mir Sorgen um dich mache, Harry, ich kenne dich zu gut und weiß, daß du immer wieder auf die Füße fällst, nein, mir geht es um Janice. Janice kann nicht so viel verkraften wie du. Versprichst du mir was?»
«Klar. Was denn?»
«Versprich mir, Harry, daß wir zwei versuchen werden, eine Möglichkeit zu finden, wie man ihr helfen könnte.»
«Gut, gut, aber ich glaub nicht, daß ich ihr helfen kann. Ich meine, mein Interesse an ihr ist nicht groß genug dafür.»
Sie haben jetzt die Zementstufen erreicht und den Holzverschlag vor dem Eingang. Tothero schließt die Tür mit seinem Schüssel auf. Der Raum ist leer, die Bar liegt in stillem Schatten, und die kleinen runden Tische sehen wackelig und rachitisch aus, jetzt, da niemand an ihnen sitzt. Die Leuchtschriftreklamen hinter der Theke sind abgeschaltet, tot: verstaubtes Röhrenwerk und Flitter. Tothero sagt, und seine Stimme ist viel zu laut: «Ich kann’s nicht glauben. Ich kann nicht glauben, daß mein Bester sich zu einem solchen Ungeheuer entwickelt.»
Ungeheuer. Das Wort trampelt ihnen nach, als sie die Treppe zum zweiten Stock hinaufsteigen. «Ich will versuchen, nachzudenken, wenn ich ein bißchen geschlafen habe», windet Rabbit sich heraus.
«Braver Junge. Das ist alles, was wir wollen.» Wie meint er das: wir? Alle Tische sind leer. Die Sonne wirft blonde Vierecke in die langgezo genen braunen Schatten über der niedrigen Heizung, die ganz schwarz ist von Staub. Männerschritte haben Spuren in die schmalen, nackten Holzbohlen geprägt.
Tothero führt Rabbit an eine Tür, durch die er noch nie gegangen ist. Dann steigen sie noch eine Treppe höher, eine steile Mansardensteige aus zusammengenagelten Leitersprossen, zwischen denen Rabbit eine elektrische Leitung sieht und grob zusammengefügtes Balkenwerk. Oben wird es heller.
«Dies ist mein Reich», sagt Tothero und fummelt dabei an den Taschenklappen seines Sakkos.
Die winzige Kammer geht nach Osten hinaus. Ein Spalt im Fensterladen wirft einen langen Lichtdolch auf die eine Seitenwand über der ungemachten Militärpritsche. Die Läden des andern Fensters sind zurückgeklappt. Zwischen den beiden Fenstern steht eine Kommode, die geschickt aus sechs mit Draht zusammengebundenen Bierkisten verfer tigt ist: zwei nebeneinanderstehende Stapel aus jeweils drei Kisten. Und darin sind Oberhemden verwahrt, die noch die Zellophanhüllen der Wäscherei tragen, zusammengefaltete Unterhemden und -hosen, Soc ken, die paarweise aufgerollt sind, Taschentücher, blankgewichste Schuhe und eine lederrückige Bürste, in deren Borsten ein Kamm steckt. Und etliche Sportsakkos mit kreischend fröhlichen
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