Hasenherz
Exzeß von Gefühlen lebe ; daß die beiden Elternpaare, aus verschiedenen Gründen freilich, kaum eine Hilfe bieten könnten; daß er, Eccles, gerade vor ein paar Minuten Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen den beiden alten Angstroms gewesen sei, in der man vielleicht den Schlüssel suchen müsse, warum der Sohn …
«Finden Sie», unterbricht Kruppenbach ihn Jack hat ohnehin nicht erwartet, daß er so lange zuhören würde, Kruppenbach kann sicher überhaupt nicht zuhören, sogar im Unterhemd sieht er aus, als trüge er volles Ornat – «finden Sie, daß es Ihre Aufgabe ist, sich in die Angele genheiten dieser Leute zu mischen? Ich weiß, was man euch heutzutage auf den Seminaren beibringt: all diesen psychologischen Kram. Aber ich bin da ganz anderer Ansicht. Sie glauben, Ihre Pflicht ist es, als ehrenamtlicher Doktor zu fungieren, alle Schlaglöcher zu stopfen und überhaupt alle Wehwehchen zu heilen. Aber ich bin da anderer An sicht. Ich finde nicht, daß das Ihre Aufgabe ist.»
«Ich wollte nur . . .»
«Nein, lassen Sie mich ausreden. Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren in Mt. Judge und Sie erst seit zwei. Ich habe Ihren Ausführun gen zugehört, aber nicht, weil mich interessierte, was Sie über die Leute zu sagen hatten, sondern weil mich interessierte, was es über Sie selber aussagt. Und folgendes habe ich herausgehört: ein Diener Gottes verplempert seine Zeit mit Geschwätz und Golfspielen. Was glauben Sie wohl, wieviel es für Gott bedeutet, wenn ein kindischer Ehemann seine kindische Frau verläßt? Denken Sie je darüber nach, wie sich so etwas in Gottes Augen ausnehmen könnte? Oder fühlen Sie sich dazu zu er haben?»
«Nein, natürlich nicht. Aber mir scheint, unsere Pflicht in einer solchen Situation ...»
«Ihnen scheint, unsere Pflicht ist, in einem solchen Fall als Polizist zu fungieren, als Polizist ohne Handschellen, ohne Pistolen, ohne alles außer unserer edlen Menschlichkeit. Habe ich recht? Sagen Sie nichts, denken Sie darüber nach, ob ich nicht recht habe. Nun denn, ich behaupte, das ist eine teuflische Vorstellung. Ich behaupte: Polizisten sind Polizisten und haben sich um ihre Vorschriften zu kümmern, mit denen wir nichts zu schaffen haben.»
«Ich bin Ihrer Meinung, allerdings ...»
«Es gibt kein Allerdings! Was wir zu tun haben, ist nicht mit unsern menschlichen Maßen zu messen.» Mit seinem dicken Zeigefinger, der dichtbehaart ist zwischen den Gelenken, klopft er seit geraumer Zeit nachdrücklich auf die Lehne eines Ledersessels. «Wenn Gott dem Elend ein Ende machen wollte, dann würde er Sein Reich ausrufen.» Jack fühlt, wie ihm die Hitze ins Gesicht steigt. «Was glauben Sie, wie wichtig sich Ihre Freunde ausnehmen inmitten der Billionen, auf denen Gottes Auge ruht? In Bombay zum Beispiel stirbt jede Minute ein Mensch auf den Straßen. Sie sprechen von einer Pflicht. Ich behaupte, Sie wissen nicht, was Ihre Pflicht ist, sonst wären Sie zu Haus und beteten. Das ist Ihre Pflicht: ein Beispiel im Glauben zu geben. Von dort kommt uns der Trost: aus dem Glauben und nicht aus den armseligen Bemühungen, die unser Körper anstellt; damit vermögen wir höch stens einen Sturm im Wasserglas zu entfachen. Indem Sie sich abzappeln, entfernen Sie sich immer weiter von der Aufgabe, die Gott Ihnen gestellt hat, nämlich, Ihren Glauben stark zu machen, daß, wenn der Ruf an Sie ergeht, Sie hingehn können und verkünden: Sonntag morgens dann, wenn wir vor sie treten, dürfen wir uns nicht vom Elend gebeugt zeigen, sondern dann müssen wir erfüllt von Christus sein, dann müssen wir glühen in Christus» – er ballt seine behaarten Fäuste –, «dann müssen wir brennen, sie verbrennen mit der Kraft unseres Glau bens. Darum kommen sie ja. Weshalb würden sie uns sonst bezahlen? Alles übrige, was wir tun oder sagen können, kann jeder beliebige tun und sagen. Dafür gibt es Ärzte und Richter. Es steht alles in der Bibel: ein Dieb, der glaubt, wiegt alle Pharisäer auf. Begehn Sie keinen Fehler. Ich meine es sehr ernst. Begehn Sie keinen Fehler. Für uns zählt nichts außer Christus. Alles andere, all diese Anständigkeit und all dies Bemü hen, ist nichts. Das sind Bestrebungen des Teufels.»
«Fritz!» tönt Mrs. Kruppenbachs Stimme betulich die Treppe herauf. «Abendbrot!»
Der rotgesichtige Mann im Unterhemd sieht zu
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