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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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verblödet von Fragen wie zum Beispiel: Wie weit kann man beim Rendezvous gehen und trotzdem noch Christus lieben? Eccles sieht sofort, daß sie in Rage ist. Er hat auch eine zu schöne Zeit im Drugstore verbracht. Er liebt diese jungen Menschen; ihr Glaube ist so real, so selbstverständlich.
    Lucy entledigt sich ihrer Botschaft und meint, ihr Vorwurf drücke sich darin schon hinlänglich aus, aber er nimmt die Nachricht nicht als solchen: ohne auch nur mit einem Wort auf den Schreckensabend einzugehen, den sie hinter sich hat, stürzt er zum Telefon.
    Er zieht die Brieftasche heraus und findet zwischen Führerschein und Leihbibliothekskarte den Zettel mit der Nummer, die zu wählen er sich bisher versagt hat, den Schlüssel, der nur einmal ins Schloß gesteckt werden kann. Er wählt und fragt sich, ob der Schlüssel wohl paßt, ob er nicht ein Narr war, sich auf das Wort der jungen Mrs. Fosnacht zu verlassen, der Frau mit der spiegelnden, vielleicht höhnenden Sonnen brille. Der Apparat auf der andern Seite läutet lange, als sei die Elektri zität, diese unheimliche dressierte Maus, meilenweit durch den Draht geflitzt, nur, um am Ende ihres Botengangs an einer undurchdringli chen Lamelle zu nagen. Er betet, aber es ist ein schlechtes Gebet, ein ungläubiges Gebet; es gelingt ihm nicht, Gott als Herrn über die Kompliziertheit der Elektrizität zu setzen. Er gesteht ihr ihre eigenen heiligen Gesetze zu. Alle Hoffnung hat ihn verlassen, er hält den Hörer aus reiner Dumpfheit noch in der Hand, als das peinigende Läuten plötzlich abreißt, die Wand in der Leitung sich wegschiebt und es licht und luftig und ungehindert durch die Drähte an Eccles’ Ohr weht.
    «Hallo?» Eine männliche Stimme, aber nicht Harrys. Sein Freund hat nicht eine so schwere, brutale Stimme wie dieser hier.
    «Ist Harry Angstrom da?» Eine Sonnenbrille funkelt und verhöhnt ihn in seiner Niedergeschlagenheit. Dies ist nicht die richtige Nummer.
    «Wer ist da?»
    «Mein Name ist Jack Eccles.»
    «Oh. Hallo.»
    «Sind Sie es, Harry? Ich habe Ihre Stimme nicht erkannt. Haben Sie geschlafen?»
    «Man kann’s so nennen, ja.»
    «Harry, Ihre Frau ist dabei, das Kind zu bekommen. Mrs. Springer hat um acht bei uns angerufen, aber ich bin eben erst nach Haus gekommen.» Eccles schließt die Augen; im dunklen, sich zuspitzenden Schweigen meint er, den Richtspruch über seine Seelsorgertätigkeit zu vernehmen.
    «Hmm», atmet es am andern Ende der Dunkelheit. «Da muß ich wohl zu ihr.»
    «Ich fände es gut, wenn Sie zu ihr gingen.»
    «Ja, ich muß wohl. Ist ja schließlich auch mein Kind.»
    «Da haben Sie recht. Ich komme auch hin. Sie liegt im St. Joseph in Brewer. Sie wissen, wo's ist?»
    «Ja, natürlich. Ich hab zehn Minuten zu Fuß dahin.»
    «Soll ich Sie mit dem Auto abholen?»
    «Nein, ich geh zu Fuß.»
    «Gut. Wenn's Ihnen lieber ist. Harry.»
    «Hm?»
    «Ich bin sehr stolz auf Sie.»
    «Ach was, also dann bis gleich.»
    Ihm ist zumut, als hätte Eccles aus dem Erdinnern nach ihm gegrif fen. Seine Stimme klang blechern. In Ruths Schlafzimmer ist es dunkel. Die Straßenlaterne wirft wie ein niedrighängender Mond Schatten auf die Innenflächen des Lehnsessels, auf das überbürdete Bett, auf das zerknautschte Laken, das er endlich zurückgeschlagen hat, als das Telefon immer noch nicht aufhören wollte zu schrillen. Die schöne Fensterrose der Kirche gegenüber ist noch beleuchtet: violett, rot, blau, gold, wie die Tonarten mehrerer klingender Glocken. Sein Körper, das ganze Gefüge aus Nerven und Knochen, klingelt, als werde es geschüttelt, als bewegten sich all die kleinen Glocken, mit denen seine silbrige Haut über und über bestückt ist. Er überlegt, ob er geschlafen hat, und wenn, wie lange: zehn Minuten oder fünf Stunden? Er nimmt die Unterhose und die Hose vom Stuhl und versucht, sich anzuziehen. Nicht nur seine Hände zittern; auch seine Sehkraft ist gestört im lichtgemischten Dunkel. Sein weißes Hemd kriecht auf dem Polster, wie eine Glühwürmchentraube im Gras. Er zaudert eine Sekunde, bevor er in dies Gewimmel hineinfaßt, aber unter seiner Berührung verwandelt es sich wieder in harmlosen toten Stoff. Er nimmt es zum grämlichen, beladenen Bett hinüber.
    «He. Baby.»
    Der längliche Klotz unter der Decke antwortet nicht. Nur ein biß chen Haar sieht oben heraus. Er hat nicht das Gefühl, daß sie schläft.
    «He. Ich muß weg.»
    Keine Antwort, keine Regung. Wenn sie nicht schläft, dann hat sie jedes Wort

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