Hass
Dutzende Fotos berühmter Komponisten und Musiker, manche sogar Daguerreotypien aus dem neunzehnten Jahrhundert, auf denen Männer mit buschigen Schnauzern, drahtigen Backenbärten und fanatischen Augen abgebildet waren.
Das Sonnenlicht fiel durch die großen Fenster zur Straße, die einzige Stelle, wo keine Magnolie sich ans Haus drängte.
Die Frau wandte sich um, als Davids Stimme vom Treppenabsatz erklang. »Whitney, tut mir leid. Komm schon, wir machen heute Steaks, wenn ich nach dem Auftritt nach Hause komme. Warte!«
»Vergiss es«, rief sie nach oben. »Ich bin schon so gut wie weg. Ich gehe heute mit diesem Bankmanager aus.« Sie zwinkerte Ruth und Dix zu und flüsterte: »Das macht ihn verrückt. Er glaubt immer noch, dass es eine plausible Drohung ist, selbst das mit dem Bankmanager. Ich heirate ihn wahrscheinlich, aber erst, wenn er sich besser benimmt. Bis später.« Whitney Jones tänzelte aus dem Raum. Kurz bevor die Tür zuschlug, war noch einmal das Platzen einer Kaugummiblase zu hören.
Kurz darauf erschien ein großer, schlanker Mann in der Wohnzimmertür. Er war barfuß, trug weite Shorts und ein zerschlissenes hellblaues T-Shirt und schnaufte vernehmlich. Aber offensichtlich war er nicht schnell genug gerannt, um Whitney noch aufhalten zu können. Er hatte einen auffallend großen Diamantstecker im Ohr.
»Hat Whitney mich verscheißert? Sind Sie wirklich Polizisten oder wollen Sie mir irgendetwas andrehen? Sie kommen doch nicht von einer Bank, oder? Obwohl ich gerade einen Banker brauchen könnte, ich muss nämlich einen Kredit für die Renovierung aufnehmen.«
Dix stellte Ruth und sich selbst vor und sagte, dass sie ihm damit leider nicht dienen könnten. Sie zeigten David Caldicott ihre Ausweise. Caldicott musterte Dix’ Marke.
»Maestro, Virginia? Mann, das fasse ich nicht – ich war auf der Stanislaus. Sie sind der Sheriff – Dixon Noble?« Er nahm Dix’ Hand und drückte sie kräftig, dann schüttelte er den Kopf. Plötzlich verstummte er, sein Gesicht bekam einen ängstlichen Ausdruck, und er trat einen Schritt zurück. Das ist ja interessant, dachte Ruth, als Dix ruhig sagte: »Man hat mir gesagt, dass Sie die Stanislaus zu der Zeit besuchten, als meine Frau, Christie Noble, verschwand, Mr Caldicott.«
»Ja, das stimmt. Es war schlimm, alle haben darüber geredet und Spekulationen geäußert. Da hat man richtig Angst bekommen. Sie war plötzlich verschwunden.« Er schnippte mit den Fingern. »Einfach so. Es tut mir echt leid, Mann. Haben Sie jemals herausgefunden, was mit ihr passiert ist?«
Dix war sichtlich erstarrt, das war Ruths Erfahrung nach seine Art, den Schmerz zu kontrollieren. Also fragte sie: »Dürfen wir uns setzen, Mr Caldicott?«
Er wandte sich Ruth zu. »Natürlich. Wo Sie wollen. Die Truhe ist aber nicht besonders bequem. Wenn Whitney und ich heiraten, werde ich ihrer Mutter den Platz anbieten.«
Sie wählten das rote viktorianische Sofa mit dem Rosenmuster.
David Caldicott setzte sich vor ihnen auf den Fußboden und lehnte sich an die Truhe. »He, wollen Sie etwas zu trinken? Ich glaube, Whitney hat eine Flasche Wein aufgemacht. Oh, Entschuldigung, Sie sind ja Polizisten, Sie dürfen im Dienst nicht trinken.«
Ruth lächelte ihn an. »Das geht schon in Ordnung, Mr Caldicott. Sie haben ein schönes Haus.«
Er strahlte und entspannte sich ein wenig. »Als ich vor drei Jahren hergezogen bin, habe ich es gekauft. Ich renoviere und richte es selbst ein. Oben ist es noch ziemlich leer und braucht noch etwas Arbeit, besonders die Bäder. Aber ich nehme mir Zeit, suche in Ruhe die passenden Möbelstücke, Fliesen und Muster, wissen Sie?«
Dix fragte: »Kannten Sie meine Frau, Mr Caldicott?«
»Tja also, die meisten Studenten kannten sie oder wussten, wer sie war. Sie war sehr hübsch und wirklich nett. Sie kam zu fast allen Konzerten. Ihr Onkel war ja Dr. Golden Holcombe, der Direktor der Stanislaus, und viele Studenten wollten sich bei ihr einschleimen, aber sie lachte meistens nur über diese Versuche. Nach einem meiner Auftritte sagte sie mir, wie sehr sie die Darbietung genossen habe. Sie sagte, ich sei ein Naturtalent, und erwähnte in dem Zusammenhang sogar das Atlanta Symphony Orchestra. Sie war sehr gut mit Gloria Standard Brichoux – Sie wissen schon, das ist diese berühmte Violinistin, die seit Beendigung ihrer Bühnenkarriere an der Stanislaus unterrichtet – und mit ihrer Tochter Ginger befreundet, die Anwältin oder so etwas ist, keine
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