Hass
August immer schnell kommt und geht. Es ist schwierig für ihn, die Verbindung mit mir zu halten, weshalb ich immer nur kurze Bilder und Gedankenfetzen zu fassen bekomme. Ich kenne nicht den Grund. Und er auch nicht.«
»Kann ich morgen mit Ihnen sprechen, Sir?«
Wallace sah ihn durchdringend an, was wohl sehr effektiv war, wenn man jemanden glauben machen wollte, dass man Dinge sehen konnte, Dinge, die über die normale Vorstellungskraft hinausgingen, Dinge aus einer anderen Welt. Cheney musste der Sache gegenüber aufgeschlossen bleiben, aber wenn es hart auf hart kam, siegte bei ihm der skeptische Jurist. Sein Verstand sagte ihm, dass er nichts akzeptieren konnte, was er nicht sehen oder mit dem Kopf oder den Händen erfassen konnte.
»Natürlich, wenn es Julia hilft.«
»Dr. Ransom war Ihr Freund und Kollege, richtig?«
»Ja. Der arme August und ich standen uns viele Jahre sehr nahe.«
»Und Julia, wie ist Ihre Beziehung zu ihr?«
»Sie ist ein nettes Mädchen. Wir waren am Donnerstag zum Abendessen verabredet, aber leider Gottes – Sie wissen ja, was passiert ist, Agent Stone. Ich werde morgen um elf Uhr zu Hause sein. Passt Ihnen das?«
Cheney nickte und widmete seine Aufmerksamkeit dem umherstreifenden Bevlin Wagner. »Sind Sie mit Mr Tammerlane verwandt?«
»Verwandt? Um Gottes willen, nein. Ich bin kroatischer Abstammung. Wallace kommt aus Kansas.«
Er hörte sich so beleidigt an, dass Cheney am liebsten laut gelacht hätte. Er räusperte sich. »Würden Sie morgen auch für ein Gespräch zur Verfügung stehen, Mr Wagner?«
Er erklärte sich bereit und warf Julia einen vielsagenden Blick zu. Keiner der beiden Männer schien wirklich mit Cheney sprechen zu wollen. Warum nur?, fragte er sich. Weil er vom FBI war? Oder weil einer oder beide August Ransom auf dem Gewissen hatten?
Julia sagte: »Ich komme zusammen mit Agent Stone. Er wird mich nicht aus den Augen lassen wollen. Er ist nämlich derjenige, der mich am Donnerstag gerettet hat, wisst ihr?«
Also war es abgemacht. So leicht hatte sie ihn dazu gebracht, sie mitzunehmen, ganz ohne Gegenwehr von seiner Seite. Cheney hätte ihr sagen können, dass er ihre Gesellschaft schätzen und er ihre Nähe genießen würde, doch ihm gefiel ihr süffisanter, triumphaler Gesichtsausdruck. Das war viel besser als die blanke Angst.
»Ich kann Sie immer noch hierlassen«, sagte er, als sie endlich wieder allein waren.
»Nein, Sie können mir nicht entwischen. Übrigens kann ich Ihnen alles über Wallace und Bevlin erzählen.« Sie senkte die Stimme bis zu einem transsylvanischen Flüsterton herab. »Das lässt Sie erzittern und erbleichen. Ihre Augen rollen und Sie schrecken mitten in der Nacht schweißgebadet und mit rasendem Herz aus einem tiefen Schlaf hoch. Sie haben ihre früheren Befragungen noch nicht gelesen, oder?«
»Nein, es ist Sonntag. Frank meinte, er könne mir morgen früh alle Akten zukommen lassen. Ich gehe dann rüber in die Bryant Street und sehe sie mir an, bevor ich Sie abhole. Ich habe aber das Gefühl, dass da nicht viel über andere Verdächtige zu holen ist, weil das Hauptaugenmerk der Ermittlungen immer auf Ihnen lag.«
»Ja, sie haben nur mich verdächtigt.«
»Darüber bin ich mir im Klaren. Wollen Sie noch etwas wissen? Glauben Sie nicht, dass Tammerlane und Wagner verwandt sein könnten? Sie sehen doch aus wie Vater und Sohn.«
»Das ist mir bisher nie aufgefallen, aber vielleicht haben Sie recht. Sie sind auch ziemlich häufig zusammen. Bevlin wohnt in Sausalito – sein Haus wird Ihnen gefallen. Er hat mich vor zwei Monaten gefragt, ob ich ihn heiraten will.«
»Wie bitte?«
Sie nickte. »Ja. Und der gute Wallace wollte um die gleiche Zeit herum auch mit mir ausgehen. Da ich nicht besonders hübsch bin, dachte ich, der Grund sei, dass ich reich bin. Aber beide sind selbst recht gut situiert mit den ganzen lukrativen Buchverträgen und Gruppenkonsultationen, die ihnen so um die tausend Dollar pro Stunde einbringen. Vielleicht wollten sie ja auch in diesem schönen Haus mit mir wohnen.«
»Tausend Dollar die Stunde? Was für eine Abzocke.«
»Abzocke? Schon möglich, aber …«
»Aber was?«
»Kommen Sie mit in Augusts Arbeitszimmer. Ich habe Dutzende Fernsehaufzeichnungen von August und Wallace, sogar ein paar von Bevlin. Und von Kathryn Golden, einer anderen Hellseherin. Mit ihr sollten Sie auch sprechen. Mal sehen, was Sie sagen, wenn Sie die Bänder gesehen haben.«
»Ich versuche, aufgeschlossen zu sein.«
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