Hass
Sie doch gerade gelesen, oder?«
»Ja.«
»Ich habe keine Ahnung, wer diese Gerüchte in die Welt gesetzt hat oder warum. Die Boulevardpresse hat sogar Namen ins Spiel gebracht. Einer von ihnen war der arme Zion Leftwitz, einer von Augusts Anwälten, ein sehr bescheidener Mann, dem selbst sein eigener Schatten Angst einjagt. Und, natürlich, fast alle Hellseher in der Gegend – Wallace Tammerlane, Bevlin Wagner und Soldan Meissen. Kathryn Golden war nicht dabei, so weit wollten sie dann wohl doch nicht gehen, und außerdem hätte sie wahrscheinlich nicht genug Kraft gehabt, um August umzubringen. Eine Zeit lang konzentrierten sie sich auf Bevlin Wagner, aus dem einfachen Grund, weil er aus dem ganzen Kreis der Hellseher der einzige in meinem Alter ist. Bevlin war bestürzt.« Sie lachte kurz auf und sagte: »Verzeihung.«
»Bestürzt? Er fühlte sich nicht geschmeichelt?«
»O nein. Er hat August verehrt. Er wäre für ihn durchs Feuer gegangen. Mich hat er gar nicht wahrgenommen, nur seinen Gott. Zumindest bis das alles passiert ist. Wie ich schon sagte, hat er danach um meine Hand angehalten. Ich bin nicht sicher, ob er es aus einer neu entdeckten Leidenschaft für mich getan hat, oder weil er Augusts Witwe beschützen wollte. Aber ich war so freundlich wie möglich, als ich seinen Antrag ablehnte. Ich bin froh, dass die Polizei nichts davon weiß, sonst hätten sie sich bestimmt wieder auf den armen Bevlin gestürzt.«
»Ich habe auch gelesen, dass sich August von Ihnen scheiden lassen wollte – ein weiteres Motiv.«
Sie nickte. »Ja, ich weiß. Das ist totaler Schwachsinn. Eine Variation der Liebhabergeschichte – aber sie haben nicht den Hauch eines Beweises für ein Verhältnis gefunden. Und obwohl sie niemanden auftreiben konnten, der in die Rolle gepasst hätte, klammerten sie sich immer noch an die Story, als sie am Donnerstagabend und am frühen Sonntagmorgen hier waren.«
»Haben Sie einen Lügendetektortest angeboten?«
»Nein. Mein Anwalt hat mir davon abgeraten. Er meinte, es gäbe dadurch keinen Vorteil für mich, nur ein Risiko.«
»Vielleicht war Ihr Anwalt ja auch von Ihrer Schuld überzeugt.«
Sie sprach langsam. »Nein, das kann ich nicht glauben. Er heißt Brian Huff. Er und August waren seit über zwanzig Jahren befreundet, und ich hatte ihn gern. Er mochte mich auch. Als ich ihm sagte, ich sei unschuldig, antwortete er: ›Natürlich bist du das.‹ Ich kann mir nicht vorstellen, dass er darauf beharrt hätte, mich zu verteidigen, wenn er geglaubt hätte, dass ich seinen Freund und Klienten – den Mann, der ihm für den Fall, dass er verklagt würde, immer einen beträchtlichen Vorschuss gezahlt hat – umgebracht habe.«
»Ich habe von ihm gehört. Er soll eine echte Kanone sein. Na gut, würden Sie sich jetzt einem Lügendetektortest unterziehen? Damit sich die Polizei auf das Hier und Jetzt konzentriert und den Dreck, in dem sie in den letzten sechs Monaten rumgewühlt hat, vergisst?«
»Glauben Sie wirklich, dass sie dadurch ihre Meinung ändern?«
»Die sind ziemlich zynisch, also wahrscheinlich nicht, aber immerhin kann es nicht schaden.«
»Dann mach ich es.«
Cheney lehnte sich in August Ransoms großen Ledersessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Julia, erzählen Sie mir von Ihrem Jungen.«
Sie sah aus, als hätte er sie geschlagen. »Die Akten«, sagte sie. »Das steht auch in den Mordakten?«
»Ja, natürlich. Erzählen Sie mir von ihm.« Er stand auf, ging auf sie zu und nahm ihre Hand. »Bitte, Julia, ich muss alles wissen. Das ist wichtig.«
Sie seufzte, als er ihre Hand drückte. »Es ist sehr schwer für mich.«
»Das kann ich mir vorstellen, aber Sie müssen sich mir öffnen, bitte. Können Sie das?«
Sie sah ihn lange an, sah die Besorgnis in seinen Augen und spürte seine Fürsorglichkeit. Und den Wunsch, ihr zu helfen? Ja, dachte sie, er wollte ihr wirklich helfen. »Ich denke, Sie haben recht. Lincoln – Linc -, so hieß er. Er war sechs, als ihn einer seiner Freunde auf dem Skateboard anrempelte und ihn auf den Bürgersteig stieß. Er schlug sich den Kopf an, fiel ins Koma und wachte nie wieder auf.
Ich blieb die ganzen drei Wochen bis zu seinem Tod bei ihm.«
Cheney runzelte die Stirn und blickte auf die Akten, in denen eine wichtige Information fehlte. Er fragte sie: »Und sein Vater? War er bei Ihnen?«
»Nein, sein Vater war da schon tot.«
»Tot? Was ist passiert, Julia?«
Na gut, dann eben alles. »Mein Mann Ben
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