Hass
Ich habe mich ehrlich gesagt immer zurückgehalten, weil sein großer Ruhm darauf beruhte, dass er Hellseher sei, und ich einfach nicht wusste, ob ich das glauben sollte – bis das mit Linc passierte.
Er wollte keinen Sex von mir, schien nie daran interessiert zu sein, was vielleicht keine große Überraschung war in seinem Alter. Ich war ohnehin wie gelähmt. Aber wir fühlten uns zueinander hingezogen. Ich bewunderte ihn und war ihm treu, was allerdings nicht viel über meine Tugend aussagt – es gab einfach keine Versuchung für mich. Wenn mir jemand anders über den Weg gelaufen wäre, bevor er ermordet wurde, hätte das die Sache sicher schwieriger gemacht.«
»Leben Ihre Eltern noch, Julia?«
»Ich nehme an, dass Sie die meisten Antworten schon kennen. Steht das nicht alles in diesen Akten?«
»Zu einem großen Teil, ja. Aber das kommt nicht aus Ihrem Mund, mit Ihren Gefühlen und Gedanken.«
»Sie starben beim Skifahren in Vail ein Jahr vor Lincs Tod. Es war ein blöder Unfall und komplett ihre eigene Schuld. Dad und Mom fuhren gerne außerhalb der Pisten und ignorierten dabei sämtliche Warnschilder. Herabstürzende Schneemassen haben sie in einem bekannten Lawinengebiet erwischt. Nein, Cheney, ich habe keine Geschwister, wie Sie sicherlich auch schon wissen.«
Er bemerkte, wie erschöpft sie plötzlich aussah. Vorsichtig legte er die Akten wieder zurück auf August Ransoms Schreibtisch. Er wollte ihr gerade etwas sagen – dabei wusste er nicht einmal genau, was -, als sein Handy klingelte.
»Ja?«
»Cheney, hier ist Savich. Such dir einen Computer, ich schicke dir eine E-Mail mit einem Bild im Anhang von dem Kerl, den wir für Julia Ransoms Angreifer halten. Ihr beide müsst uns das bestätigen. Ruf mich zurück, wenn er es ist. Dann erfährst du alles über ihn.«
»Alles klar, Savich«, sagte Cheney, dann wandte er sich an Julia. »Wir brauchen Ihren Computer.«
KAPITEL 24
Cheney öffnete den Anhang und starrte das Gesicht des Mannes auf dem Farbfoto an.
»Das ist er«, sagte Julia sofort. »Dieses Gesicht vergesse ich nicht.«
Cheney nickte und wählte auf dem Telefon im Arbeitszimmer Savichs Nummer.
»Und, ist er’s?«, fragte Savich am anderen Ende.
Cheney stellte den Lautsprecher an. »Savich, Julia Ransom ist bei mir. Julia, das ist Agent Dillon Savich. Er hat die Zeichnung durch das spezielle Gesichtserkennungsprogramm des FBI gejagt und den hier als wahrscheinlichsten Kandidaten ausgewählt.«
Julia sagte, ohne zu zögern: »Ja, das ist er, Agent Savich. Bitte sagen Sie mir, dass Sie ihn haben.«
»Tut mir leid, Mrs Ransom, wir schnappen ihn nicht, das macht die Polizei von San Francisco. Ich schicke das Foto gleich an Captain Paulette und sage ihm, dass Sie seine Identität bestätigt haben. Das SFPD wird das Bild in Windeseile in der ganzen Gegend verteilen. Sind Sie sich ganz sicher, Mrs Ransom?«
»Ja, das bin ich, hundertprozentig.«
»Was kannst du uns über ihn sagen?«, fragte Cheney.
»Er heißt Xavier Makepeace. Seine Mutter ist Jamaikanerin, sein Vater Brite. Er ist siebenunddreißig Jahre alt und sehr erfolgreich in seinem gewählten Beruf, wobei es sich, wie ihr sicher schon erraten habt, um den eines Profikillers handelt.
Ich muss aber schon sagen, dass es als Profi nicht gerade klug von ihm war, einen zweiten Versuch auf Sie zu unternehmen, Mrs Ransom. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die ursprüngliche Zeichnung ihn genau getroffen hat, und es gab ja auch schon eine Fahndungsmeldung. Sollte er sich wieder zeigen, dann wird dieses Foto ihn festnageln.«
»Das Problem ist«, sagte Sherlock, »dass dieser Kerl so stolz ist, was seine Arbeit betrifft, dass er ein Scheitern nur schlecht akzeptieren wird. Oh, hier spricht Agent Sherlock, Dillons Frau. Ich meine Agent Dillon Savich.«
»Sie sind verheiratet?«
»Ja«, sagte Savich. »Cheney, was gibt’s bei Ihnen Neues?«
»Es gab noch keine Meldungen von örtlichen Ärzten oder Krankenhäusern. Und niemand hat Makepeace bis jetzt gesehen. Ich gebe Sherlock recht. Der wird sicher nicht so schnell aufgeben. Von einem Amateur, besonders einer Frau, übertrumpft zu werden – das sieht in seinem Lebenslauf sicher nicht gut aus. Und Julia hat ihn sogar angeschossen.«
Sherlock sagte: »Steve aus der Abteilung für Verhaltenspsychologie glaubt, dass seine Tat eher untypisch ist. Er hätte schon längst die Stadt verlassen haben sollen. Er denkt, dass Makepeace die Sache jetzt persönlich nimmt und Julia
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