Hassbluete

und kühlten uns weiter oben mit dem Dosenbier. Ich blickte zur Fußgängerbrücke, die circa hundert Meter entfernt war. Ihre Pfeiler standen jeweils auf dem trockenen Streifen des Flussbettes. Ein Stück weiter flussaufwärts hatten wir Robin ins Wasser geschmissen. Ich schaute lieber schnell weg und traf Mikes Blick, der offenbar dasselbe dachte. Er schüttelte nur leicht den Kopf. Ich nickte. Ich hatte ihm immer noch nichts von Robins Bahnhofausflug erzählt. Hier vor Janni und Daniel ging es wieder nicht. Als ich zu Janni rübersah, konnte ich sofort erkennen, dass sie Mikes und meinen Blickwechsel genau verfolgt hatte. Sie guckte mir frontal ins Gesicht und ihre Augen verengten sich zu engen Schlitzen.
    Ich wandte mich ab und blickte aufs Wasser. Hier an dieser Stelle schwappte es bis an die Uferböschung. An sich war es schon warm genug zum Baden, aber es brauchte immer jemanden, der den Anfang machte, und heute konnte sich anscheinend niemand aufraffen. Wir hockten alle abgeschlafft am Ufer und jeder hing seinen Gedanken nach.
    Unser Platz war wie die Fußgängerbrücke von den Hochhäusern her nicht einsehbar, weil dazwischen ein kleiner Wald lag, um den die Berkel einen Bogen machte. Aus dem Wald sollte mal Bauland für weitere Wohnsilos werden. Mit der Fußgängerbrücke war der erste Schritt dafür gemacht. Aber da viele Wohnungen in den bereits existierenden Wohntürmen seit ein, zwei Jahren leer standen, hatte es einen Baustopp gegeben und fürs Erste passierte auf der anderen Brückenseite nichts mehr.
    Plötzlich sah ich, dass Robins Mutter aus dem Wald gelaufen kam und immer wieder die Arme in die Höhe riss. Rief sie um Hilfe? War was passiert? Doch dann bemerkte ich, dass sie joggte und dabei Armübungen machte. Sie lief ein Stück am Wald entlang, um dann wieder darin zu verschwinden.
    »Was macht eigentlich das Opfer?«, fragte Janni.
    Ich zuckte kurz zusammen, aber Mike neben mir rührte sich nicht.
    »Ihr seid heute Nachmittag so schnell mit Robin weggefahren«, sagte sie. »Ich hab euch noch gewunken, aber ihr habt mich wohl nicht gesehen.«
    Natürlich. Janni hatte mal wieder ihre rosarote Brille auf.
    »Wir wollten einfach nur schnell nach Hause«, sagte Mike und zwinkerte mir aus dem Augenwinkel zu.
    Janni sah es und war eingeschnappt. »Wenn ihr nicht drüber reden wollt, okay.«
    »Da gibt’s nichts zu reden«, sagte Mike barsch, als wollte er ihr noch mal klarmachen: Man kapier’s doch endlich.
    »Robin hat mal wieder Klette gespielt«, versuchte ich zu erklären.
    »Warum geht der nicht in seinen Keller. Im Sommer sind wir doch nur ganz selten da unten. Da stört ihn niemand«, meinte Daniel.
    »Er will aber nicht allein sein«, verteidigte Janni Robin.
    »Chris - der sitzt neuerdings neben Robin – hat mir heute in der Pause erzählt, dass Robin total strange reagiert hat, als sie in SoWi über den Amoklauf von Elbdetten gesprochen haben«, sagte Daniel und nippte an seinem Bier.
    »Wie strange?«, wollte Mike wissen, zog seine Füße aus dem Wasser und setzte sich gerade auf.
    »Er hat wohl gesagt, dass er sich nicht vorstellen kann, dass niemand gemerkt hat, was mit dem Jungen los ist. Und dann hat er sich total aufgeregt, dass man sich auch mal überlegen müsse, warum der Typ so gehandelt hat und was überhaupt dahintersteckt und dass es nie nur die Schuld des Einzelnen sei, sondern immer auch derer, die nicht eingreifen.«
    Mike starrte vor sich hin und Janni fing an zu kichern: »Na, brütest du über deinem nächsten Amoklauf oder warum nimmt dich das Gequatsche von dem armen Irren so mit?« Oh Mann, die Frau war doch selber irre.
    Mike zeigte ihr nur den Mittelfinger und zündete sich eine Zigarette an. Sie verstummte augenblicklich und wendete sich beleidigt Daniel zu, aber auch der grinste nur müde. Ich schüttelte den Kopf.
    »Weiß man denn mittlerweile, warum dieser Typ in Elbdetten das alles veranstaltet hat?«, nahm Daniel den Faden wieder auf.
    Janni war jetzt offenbar genervt. »Mir doch egal. Solche Spinner gibt’s Gott sei Dank nicht so oft«, zickte sie.
    »Ach, wieso bist du dir da so sicher?«, fragte Mike und zog lässig an seiner Zigarette. Sie ließ sich immer sehr leicht provozieren und Mike wusste das.
    »Kennst du vielleicht einen?«, blaffte Janni zurück.
    »Schon möglich«, sagte Mike.
    »Wer denn?«, sprang Janni auch noch drauf an.
    »Du«, antwortete Mike als würde er Buh sagen und blies ihr einen perfekten Rauchkringel ins Gesicht.
    »Idiot«,