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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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einfach wieder aufstehen, einmal grinsen und rufen: Verarscht! Theaterblut! Aber er blieb liegen.
    »Was ist hier passiert?«, fragte jemand in meinen Rücken.
    Ich roch das Parfüm sofort. Eine Mischung aus Pfirsich und Vanille. Langsam drehte ich mich um. Vor mir stand eine Frau, etwas jünger als meine Mutter, mit hochgesteckten dunklen Haaren. Ihre grünen Augen musterten mich eindringlich.
    »Ich weiß nicht. Ich hab ihn so gefunden«, stammelte ich und sah um Unterstützung bittend zu Frau Mitschke.
    Die sagte mit zittriger Stimme: »Ich … ich bin grad … von da …« Sie fuchtelte mit dem Arm in die Richtung, aus der sie gekommen war, es gab ja nur zwei Möglichkeiten.
    Die fremde Frau beugte sich zu Robin runter, traute sich aber auch nicht, ihn zu bewegen. Wahrscheinlich hatte er sich sämtliche Knochen gebrochen. Sie suchte nach Robins Puls am Handgelenk.
    »Ich hab schon den Notarzt gerufen«, sagte ich.
    Entweder glaubte sie mir nicht oder sie wollte auf Nummer sicher gehen. Jedenfalls zückte die Frau auch ihr Handy, tippte die 112, wendete sich dann aber ab und ging ein paar Schritte davon. Sie sprach sehr leise und ich verstand nur ein paar Sprachfetzen: »… dringend einen Krankenwagen in die …«, sagte sie. Sie sah sich zuerst um und warf mir dann einen auffordernden Blick zu.
    »… Kinderhaus 1«, sagte ich.
    Sie wiederholte: »Kinderhaus 1 … Sie haben die Meldung schon bekommen!?« Sie sah mich irritiert an. Ich nickte. »Ja, stimmt. Beeilen Sie sich. Es sieht schlimm aus.« Sie legte auf.
    In diesem Moment kam Lisa Richter angerannt. »Robin!«, schrie sie. Sie warf sich neben ihn auf den Boden, strich ihm über das Gesicht und flüsterte immer wieder seinen Namen. Jetzt sah sie kurz zu mir hoch. Ich taumelte ein paar Schritte zurück.
    »Ich … ich weiß nicht, was passiert ist«, stotterte ich. »Wir haben schon den Krankenwagen gerufen.« Ich sah mich nach der Parfüm-Frau um, doch die war wie vom Erdboden verschwunden.
    »Du und Mike?«, fragte Lisa.
    »Nein, ich und …« Ich brach ab, konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.
    Lisa wandte sich wieder Robin zu, strich ihm weiter über die Wangen und flehte, dass er durchhalten solle, dass gleich Hilfe kommen würde.
    »Bitte, Robin«, flüsterte sie. »Tu mir das nicht an! Bitte!« Ihre Tränen liefen und zerstörten ihr perfektes Make-up. Graue Mascara-Rinnsale flossen über ihre Wangen. »Entschuldige, dass ich so gemein zu dir am Telefon war. Aber wir können doch über alles reden. Du musst nur bei mir bleiben, hörst du!?« Was redete sie denn da? Begriff sie nicht, dass es zu spät war? ER IST TOT!, hätte ich ihr am liebsten ins Gesicht geschrien. Du kannst nichts mehr tun. Er ist tot!
    Sie richtete sich ein bisschen auf, sah aber gleichzeitig so aus, als drohte sie, im nächsten Moment über seinem leblosen und zerschlagenen Körper zusammenzubrechen. Dann sah sie wieder zu mir. Sie versuchte verzweifelt, sich zusammenzureißen. Sie biss sich auf die Lippen und krampfte die Finger in den eigenen Unterarm. Ihr Atem ging stoßweiße.
    Schnell hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet.
    Das ist natürlich ein Ereignis, das sich niemand entgehen lassen will, dachte ich verbittert. Sonst blieben die Leute nie stehen. Niemand beachtete den anderen, sah ihm in die Augen oder fragte, wie es ihm ging. In Kinderhaus war man anonym und jeder für den anderen ein Niemand.
    »Der arme Robin«, sagte eine ältere Frau neben mir. Es war Frau Bertram.
    »Er hat immer für mich eingekauft, war immer so nett. Vielleicht ist er beim Blumengießen runtergefallen. Er hat ja alles gemacht«, flüsterte sie vor sich hin.
    Meine Gedanken fuhren immer noch Karussell. Der Satz fiel mir wieder ein, den Robin noch vor ein paar Stunden zu Mike und mir gesagt hatte: Was gebt ihr mir dafür, wenn ich nicht mehr da bin? Hatte er sich absichtlich vom Balkon gestürzt? Hatte Robin sich selbst umgebracht? Mein Gott, dann war das heute Nachmittag vielleicht so eine Art letzter Hilferuf gewesen!? Und wir hatten nichts kapiert, gar nichts. Mir wurde wieder schlecht. Aber die Gedanken kreisten weiter, ließen mir keine Zeit, keine Ruhe. Woher kannte ich diese fremde Frau, die ebenso plötzlich da gewesen und dann wieder verschwunden war? Und wieso ging sie mir gerade jetzt nicht mehr aus dem Kopf? War das ein erstes Anzeichen, dass ich kurz vorm Kollaps stand?
    »Die Richters sind so nette Leute«, flüsterte Frau Bertram. »Und ich weiß, was das

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