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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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leid.«
    »Sonst tust du doch immer so cool.« Er sah abschätzig zu mir herunter.
    »Lass mich hier sofort raus?«, brüllte ich ihn an und hämmerte mit den Fäusten gegen seine Brust. Er kriegte meine Hände zu packen und hielt sie fest: »Weshalb läufst du diesem Spacken hinterher?«
    »Ich will nur sehen, wie es ihm geht.«
    »Hat er dich mit seiner Masche jetzt schon eingewickelt? Wie kannst du so blind sein und ihm einfach ins Netz gehen?« Mike war mit seinem Gesicht jetzt ganz nah an meinem. Er starrte mir in die Augen, aber ich wandte den Kopf ab. «Du spinnst, er braucht Hilfe«, sagte ich, jetzt wieder in normaler Lautstärke.
    »Hilfe? Ja, er braucht definitiv Hilfe. So krank wie er ist. Aber du gehst nicht und hilfst ihm.«
    Plötzlich stieß Mike mich ins Zimmer zurück, ging raus und schloss die Tür hinter sich. Ich stürzte sofort wieder nach vorne und wollte ihm hinterher, drückte die Klinke herunter, doch sie ließ sich nicht bewegen. Er musste von außen etwas unter die Klinke geklemmt haben.
    »Ich bring das in Ordnung mit Robin«, hörte ich Mike von draußen.
    »Lass mich sofort hier raus, du Scheißkerl«, fluchte ich und schlug gegen die Tür.
    »Ich bin gleich zurück. Es dauert nicht lange«, hörte ich ihn sagen. Seine Stimme und seine Schritte wurden dabei leiser, er war schon halb auf der Treppe.
    Ich überlegte, so laut gegen die Tür zu schlagen, bis mich Evelyn hörte und mir aufmachen würde. Aber dann würde sie wieder tausend Fragen stellen und keine Ruhe geben, bis sie herausgefunden hatte, was passiert war. Ich ließ mich aufs Bett sinken, neben die Stelle, wo noch vor ein paar Minuten Robin gesessen hatte. Mit einem Seufzen ließ ich mein Gesicht in die Hände sinken. Ich war müde und wütend und ich kriegte einfach keine Ordnung mehr in meine Gefühlswelt. Was Robin betraf und was Mike betraf. Die beiden waren mir fremder als irgendein Marsmensch und trotzdem fühlte ich mich zu beiden hingezogen und auf irgendeine Art verantwortlich.
    Ich betrachtete die kleine Mulde in der Tagesdecke, die Robin hinterlassen hatte. Ich sprang auf, lief zum Fenster und sah, wie Mike in Richtung Hochhaus lief. Robin war nirgends mehr zu sehen.
    Ich kam wir vor wie eine Prinzessin, eingeschlossen in einem Turm, und die beiden Ritter schlugen sich um sie. Nur dass einer der beiden keine Rüstung hatte, um sich zu schützen. Und das war Robin. Dachte ich.
    Irgendwie war sein Schildkrötenpanzer durchlässig geworden. Er hatte keine Schutzfunktion mehr.
    Ob Mike sich jetzt bei ihm entschuldigen würde? Was hatte er gemeint, als er sagte, er würde das wieder in Ordnung bringen?
    Ich ging zurück zum Bett, legte mich quer mit dem Rücken darauf und lauschte. Hier hörte man nichts von den bolzenden Kids vom Sportplatz, keine kreischenden Kinderstimmen, streitenden Ehepaare, Fernseh- und Radiogedudel, Technomusik aus der Nachbarwohnung, all das, was man in den Hochhausblöcken Tag für Tag miterlebte. Dort kehrte niemals Ruhe ein. Aber hier, auf diesem Teil der Straße, nahe am Waldrand war es sehr ruhig. Es war still. Totenstill, dachte ich. So eine Stille, die einem das Trommelfell zerdrückt, weil sie zu schwer ist.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, wie sich Mike bei Robin entschuldigte, aber eigentlich war das geradezu unvorstellbar. Vielleicht versuchte er es ja auch ohne Worte, indem er ihm eine Zigarette anbot. Aber Robin rauchte ja nicht.
    »Ich brauch meine Lungen für was anderes«, hatte er mal gesagt. Wahrscheinlich zum Radfahren. Was er ja fast schon wie Ausdauersport betrieb.
    Ich musste eingedöst sein, als ich plötzlich Geräusche an der Tür hörte und Evelyn hereinkam. »Was ist denn hier los? Wer hat dich denn eingeschlossen? War das Mike?« Sie ging wie ferngesteuert zum offenen Fenster und lehnte sich hinaus: »Mike!«, rief sie, wahrscheinlich ohne irgendeinen Anhaltspunkt. Nur um nach ihm schreien zu können! »Mike! Michelle ist immer noch hier!«
    »Das weiß er selbst«, murmelte ich.
    »Mike!« Sie stellte das Fenster auf Kipp, ging auf mich zu und hielt mir die Hand hin, damit ich vom Bett hochkam. Sofort strich sie die Tagesdecke glatt. Ihr Ordnungsfimmel würde mich schon nach einem halben Tag wahnsinnig machen.
    »Was war hier los?«, fragte sie.
    »Nichts. Mike ist gleich wieder da.«
    »Und Robin?«
    »Bei dem ist Mike ja.«
    »Ach so. Willst du hier auf ihn warten?«
    »Ja.« Und etwas zu trinken hätte ich auch gern. Und was mit deinem Sohn los ist, wüsste ich

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