Hassbluete
auch gern.
»Wie bitte?«
»Ja«, wiederholte ich meine Antwort. »Ich warte hier auf Mike.«
»Möchtest du was zu trinken? Eine Limonade?«
»Ja, das heißt, nein. Nein, vielen Dank, nein.«
»Okay, ansonsten meldest du dich, ja?«
»Ich geh dann.« Es klang so, als würde siesich für immer verabschieden.
Ich antwortete nicht. Kurz darauf kam sie doch noch mal mit dem Stapel Wäsche vom Stuhl draußen zurück und stopfte sie in Mikes Schrank. Darin war das totale Chaos. Sie schob den Packen einfach vor die anderen Berge.
Und seufzte.
Mike kam nicht zurück. Nachdem ich eine weitere halbe Stunde gewartet hatte, kam ich mir langsam ziemlich blöd vor und wurde wieder wütend. Sollte er doch machen, was er wollte. Ich würde jetzt jedenfalls nach Hause gehen und niemand würde mich aufhalten. Ich ging die Treppe runter, rief einmal nach Evelyn, aber sie antwortete nicht. Wahrscheinlich war sie im Garten oder in der Garage. Als ich aus der Haustür trat, fuhr Klaus Saalfeld die Auffahrt zur Garage hoch. Er hupte einmal kurz und ich hob die Hand. Die Sonne stand schon ziemlich tief, als ich nach Hause ging. Ich hielt einer mit Tüten bepackten Frau, die ich nicht kannte, die Haustür auf. Sie bedankte sich in einer Sprache, die ich nicht verstand. Irgendetwas Osteuropäisches. Janni spielte mit ihrer kleinen Halbschwester Kristin Federball auf dem Fußballplatz und stellte sich extra dumm an, um sie gewinnen zu lassen. Daniel lehnte am Maschendrahtzaun und sah ihnen zu.
Wenig später erreichte ich den Aufzug und sah gerade noch, wie jemand hastig hinter sich die Etagentür im Erdgeschoss zuzog. Die Tür führte zum Treppenhaus, das ich nur benutzte, wenn der Fahrstuhl mal sehr auf sich warten ließ.
Ich ging hin, drückte die Klinke runter und sah in den Treppenhausflur. Nichts, niemand. Auch keine Schritte.
Ich beschloss, doch die Treppe zu nehmen, und stieg nach oben. Als ich gerade durch die Verbindungstür unseren Flur betreten wollte, sah ich Robins Mutter hinter mir durchs Treppenhaus nach oben kommen. Ich erkannte sie an dem blonden Haaransatz und an ihrem Gang.
Schnell zog ich mich zurück, bevor sie mich bemerkte, und klopfte, anstatt zu klingeln, leise an die Wohnungstür. Etwas vorsichtig fragte meine Mutter von innen: »Wer ist da?«
»Das Hochhaus-Monster«, raunte ich.
Sie machte mir auf, sagte: »Scherzkeks«, und gab mir einen Klaps auf den Kopf. Ich schob mich an ihr vorbei und zog die Wohnungstür hinter uns zu.
Robin hat kurz vorher angerufen, bevor es passiert ist. Und am Telefon erzählt, was er rausgefunden hatte. (. . .)
War ja natürlich alles nur eingebildet! Aber Robin hatte sich total darin festgebissen. Das konnte er gut. Das war wohl auch ein Grund, warum niemand was mit ihm zu tun haben wollte. Weil er manchmal so pedantisch wurde und anfing, sehr unangenehm zu werden, wenn man ihm nicht geglaubt hat. Aber nur, wenn er nicht anders konnte. (. . .)
Ja, was hätten wir denn tun sollen? Hätte Michelle ihm was vormachen sollen, nur damit er nicht durchdreht!? Ich hab’s mir anders überlegt, Robin. Bitte bleib, geh nicht weg! Ich bin doch in dich verliebt!? (. . .)
Klar, kenn ich das: Aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund. Manchmal sagt man aber leider genau das falsche Wort. Und man hat keine Ahnung, auf welchen Knopf man da gedrückt hat.
6
Die Sonne war schon fast hinter den Bäumen verschwunden, als ich mich zu meiner Mutter auf den Balkon setzte. Im Sommer stand bei uns die Balkontür fast immer offen, auch nachts, auch wenn keiner da war, weil es die einzige Möglichkeit war, ein bisschen Frischluft und Kühle in die aufgeheizten Räume zu bringen. Mom hatte es sich anscheinend gerade gemütlich gemacht, nachdem sie eine Halskette fertiggestellt und verschickt hatte. Bei ihr konnte man übers Internet Schmuck zusammenstellen, die Einzelteile selbst auswählen und zusammenbauen lassen.
Auf dem Balkontisch lagen Zeitschriften und ein zerfleddertes Taschenbuch – ihr Lieblingsroman, irgendeine Liebesschnulze –, etwas zu essen und zu trinken und Sonnenmilch. Als sie zur Toilette ging, schnappte ich mir schnell einen Löffel von ihrem Joghurttörtchen, auf dem ein Smileygesicht gelegt war: die Augen aus Himbeeren, die Nase aus einer Erdbeere und den Mund aus einem Stück Pfirsich. Mal sehen, ob es ihr auffallen würde.
»Michelle«, rief sie aus dem Bad. »Kannst du mir bitte ein Handtuch bringen?«
Ich antwortete nicht, holte stattdessen eins aus
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