Hassbluete
zog Mike mich zum Sofa und Daniel ließ sich in den Sessel fallen, der gefährlich krachte. Wir schwiegen immer noch. Nicht mal Daniel sagte etwas, obwohl er sonst immer der große Checker von uns war und zu allem und jedem sofort eine Einschätzung hatte. Aber so etwas machte auch ihn sprachlos. Es war so endgültig.
Meine Gedanken kamen immer noch nicht zur Ruhe. Würde das überhaupt jemals wieder der Fall sein? Die Tränen trockneten zwar, aber der Schmerz blieb.
Schließlich kam Janni rein, ging direkt zu der alten Dunstabzugshaube – wir hatten nie herausgefunden, wozu der Vormieter die hier im Keller angebracht hatte, aber uns kam sie sehr gelegen – und schaltete sie ein. Dann kramte sie eine Packung Zigaretten aus ihrer Jacke. Ich konnte den Lärm, den das Ding veranstaltete, nicht ertragen, nicht in diesem Moment. Mit einem Ruck stand ich vom Sofa auf, ging zu Janni und schaltete sie wieder aus. Janni sah zu Mike, als erwartete sie Unterstützung von ihm, aber er beachtete sie gar nicht. »Ich will aber rauchen«, giftete sie mich an.
»Dann rauch halt ohne«, sagte ich. Als ob das jetzt das Hauptproblem wäre. Hauptsache Madame kam zu ihrer Kippe.
Janni ließ sich auf einer der beiden leeren, umgekippten Bierkisten nieder, die unter der Abzugshaube standen, zündete die Zigarette an und blies mir den ersten Zug demonstrativ ins Gesicht. »Wieso sagt denn hier niemand was? Ist euch Robin egal oder was? «, platzte es aus ihr heraus. Sie starrte mich an.
»Bist du bescheuert? Natürlich ist er uns nicht egal. Spinnst du?«, blaffte ich sie an.
»Aber was war denn los?« Janni spielte sich auf wie Frau Brauer auf dem Pausenhof, wenn die Jungs aus der Sechsten sich mal wieder kloppten und sie dazukam und losdonnerte: »Was ist hier los?«
»Ich weiß es nicht. Woher soll ich wissen, warum er vom Balkon gefallen ist?«, sagte ich. »Wir haben nichts damit zu tun.« Ich blickte zu Mike und er nickte mir zu.
»Scheiße, Mann!« Janni zog hektisch an ihrer Zigarette, während ihr erste Tränen über die Wange rollten. »Habt ihr gesehen, wie er aussah? Ich hab Krissi sofort die Augen zugehalten, aber wahrscheinlich wird sie trotzdem Albträume davon kriegen. Dieses ganze Blut … Wie konnte das denn passieren? Man fällt doch nicht so einfach vom Balkon!«
»Nein, normalerweise nicht …« Mike betrachtete einen Punkt an der Decke.
Janni starrte ihn an. »Was willst du damit sagen? Normalerweise? Meinst du, er ist mit Absicht gesprungen?«
»Ja oder es hat ihn jemand gestoßen«, fügte Mike hinzu.
»Bist du wahnsinnig!? Das ist doch irre!«, schrie Janni. »Weißt du überhaupt, was das bedeutet? Das bedeutet, dass hier irgendwo ein Mörder herumläuft!«
»Das hast du jetzt gesagt.« Mike war vollkommen ruhig.
»Jetzt mal langsam«, meldete sich Daniel aus der Ecke zu Wort. »So lange man noch nicht weiß, wie es zu dem Unfall kam, darf man auch keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Daniel war mal wieder der Ruhige, Bedachte, der von allen am besten die Nerven behielt. Manchmal, jetzt zum Beispiel, bewunderte ich ihn dafür.
Wieder herrschte langes Schweigen. Ich merkte, wie langsam der letzte Rest Energie aus mir wich. Ich ging zum Sofa zurück und ließ mich wieder neben Mike fallen. Er nahm meine Hand und strich mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken. Diesmal zog ich sie nicht weg. Sein Streicheln beruhigte mich. Wir sahen uns in die Augen und ich wusste, dass wir beide an die Situation von heute Nachmittag dachten. Ich wusste, dass wir uns beide schuldig fühlten.
»Zumindest war er bestimmt sofort tot und hat nichts mehr gespürt«, sagte Mike leise.
»Ja, das ist doch klar«, schaltete sich Janni wieder ein. »So was überlebt man nicht.« Sie fing wieder an zu schluchzen und ich wunderte mich, warum ich überhaupt nicht weinen musste. Es wäre bestimmt erleichternd gewesen, aber ich konnte nicht.
Vielleicht hätte er mit seinen orangefarbenen Käferflügeln überlebt , überlegte ich. Die hätten ihm dann als Fallschirm gedient. Aber Robin war ohne seine Jacke gesprungen, gefallen, was auch immer.
»Er ist wahrscheinlich aus Versehen vom Balkon gekippt. Oder hat das Gleichgewicht verloren.« Daniel schob sich seine Brille mit dem schwarzen Horngestell zurecht. Immer wenn er nervös war, fummelte er an seiner Brille herum.
»Du wohnst doch direkt unter ihm, du musst doch was mitgekriegt haben!?« Janni guckte schon wieder so herausfordernd.
Jetzt würde ich erst recht nicht
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