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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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vertrocknen.
    Wahrscheinlich war der Termin bei der Polizei dazwischengekommen!? Wer badete denn, wenn der eigene Sohn gerade erst in den Tod gestürzt war? Und warum? Zur Beruhigung?
    Ich ging zuerst ins Wohnzimmer. Ein voller Aschenbecher thronte auf dem Wohnzimmertisch. Mir wurde schon beim Anblick schlecht. Das Fenster war hier immerhin auch offen. Neben dem Aschenbecher lagen verstreut verschiedene Illustrierte. Eine Elternzeitschrift war aufgeschlagen und ich las die ersten Zeilen eines Artikels über Patchwork-Familien. Als mein Blick auf Wolfgangs Schreibtisch an der Wand fiel, erinnerte ich mich wieder an meinen letzten Besuch. An dem Gesamtbild hatte sich wenig geändert. Ich trat heran und entdeckte, dass ein neuer Ausdruck neben dem Laptop lag. Scheinbar hatte er sein Buch beendet, denn das hier sah eindeutig wie ein Titelblatt aus. Groß, fett und unterstrichen stand da: »Führe dich selbst, dann ist egal, wen du führst«.
    Die zweite Seite bestand aus dem Inhaltsverzeichnis, das aber noch nicht vollständig war. Zu den letzten Kapiteln fehlten noch die Überschriften. Die »Einleitung« war überschrieben mit: »Warum sich Menschen in gefährlichen Situationen eher verlieben – oder warum der Krieg die Mutter vieler Kinder ist«.
    Ich hatte mal gelesen, dass einmal in New York, als nachts der Strom in der ganzen Stadt ausgefallen war, zigmal mehr Kinder als normal gezeugt worden waren. Ob Wolfgang so ein Szenario damit meinte? Alle hatten Angst gehabt und waren zusammengerückt. Aber was hatte das mit Unternehmensführung zu tun?
    Als Nächstes ging ich in Robins Zimmer. Hier war das Bett gemacht und alles aufgeräumt, wie immer, beziehungsweise bei den wenigen Malen, die ich hier gewesen war. Er machte es selbst, nicht wie bei Mike seine Mutter. Nur sein Regal sah nicht so aus wie sonst: Einige Bücher fehlten und hinterließen Lücken wie in einer löchrigen Zahnreihe.
    Unter dem Schreibtisch stand längs die Tasche. Ich zog sie heraus und sah hinein – nur Bücher. Ein Buch hatte als Titel meinen Namen und ich überflog den Klappentext: Michelle handelte von der unmöglichen Liebe zwischen einem schüchternen Mädchen und einem mysteriösen Jungen, von dem man vermutete, dass er von einem anderen Stern kam. Nachts leuchtete sein Herz rot durch seine blasse Haut. Und so weiter und so fort. Hilfe, was für ein Kitsch! Hätte nie gedacht, dass Robin so etwas las. Ich blätterte es schnell durch und ein Foto von mir fiel heraus, das Robin in durchsichtige Plastikfolie eingeschweißt hatte. Er musste es erst vor Kurzem heimlich mit seinem Handy aufgenommen haben, denn ich hatte darauf schon den von mir eigenhändig abgesäbelten Pony. Auf die Rückseite hatte er ein Herz mit unseren Initialen gemalt: »R & M«. Und darunter stand in seiner geschwungenen Handschrift: »Wir werden für immer zusammen sein.«
    Ich bekam Gänsehaut auf den Unterarmen. Was sollte das bedeuten, dass wir für immer zusammen sein würden?
    Ich schüttelte mich. Romantischer Spinner! Vielleicht hatte er davon geträumt, dass wir später heiraten würden?
    Ich legte alles zurück, schloss die Tasche und schob sie wieder unter den Schreibtisch. Dann stand ich auf, sah zu seinem Bett und versuchte, mir vorzustellen, dass Robin wie ein Toter dort aufgebahrt auf der Tagesdecke lag – unter der Postergalerie von Bruno Mars und Lady Gaga. Er sah so friedlich aus, so erlöst. Ganz anders als unten auf dem Bürgersteig – dort war sein Gesicht eine einzige Fratze gewesen, als wäre ihm der Teufel persönlich begegnet.
    »Entschuldige«, sagte ich leise. »Wenn ich das gewusst hätte …«
    Oh Mann, versuchte ich jetzt schon, mit einem nicht vorhandenen Toten zu reden? Sollte ich hier jetzt alles durchwühlen, ohne zu wissen, wonach ich überhaupt suchte? Das kam mir im Gegensatz zum Keller, der uns allen gehörte, irgendwie nicht richtig vor, weil außer dem Bücherregal alles so aufgeräumt war, als ob Robin verreist wäre, aber wiederkommen würde.
    Tja, alles nur schöner Schein!
    Ich dachte daran, wie hilflos er oft gewesen war und sich uns trotzdem immer wieder ausgeliefert hatte. Ich könnte so was nicht, neben anderen Leuten stehen oder sitzen, ohne von ihnen beachtet oder gar einbezogen zu werden, und dann nicht wegzugehen.
    Aber jemanden, der neben dir steht oder sitzt, total missachten und ignorieren, das kannst du!
    Fast nie war Robin weggegangen – nur dieses eine endgültige letzte Mal.
    Und dann riss ich doch seine

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