Hassbluete
sich das mit dem Wegbringen der Bücher …«, Mike sah mich an, »… anders überlegt und sie wieder mit nach Hause genommen!?« Sein Blick ging zu Wolfgang, der nickte kurz.
»Wer wirft schon Harry Potter weg?«, sagte er.
»Was machen wir denn jetzt mit den Büchern?«, fragte Lisa.
»Spenden«, sagte Mike bestimmt. »Das wäre ja anscheinend auch in Robins Sinne gewesen.«
Alle schwiegen einen Moment.
In meinem Kopf schwirrte es.
Dann nickte Lisa. Wolfgang legte seinen Arm um sie und begleitete sie hinaus.
Wir betraten den Aufzug und ich drehte mich zu Mike. Ich war jetzt wirklich froh, dass er da war. Die Tür schloss sich wieder und ich wollte gerade auf den Knopf drücken. Doch in dem Moment sagte er: »Ich komm besser doch nicht mit.« Etwas krampfte sich in mir zusammen.
»Meine Mutter nervt uns schon nicht«, sagte ich. Eigentlich wollte ich sagen: Bitte bleib bei mir, ich möchte jetzt nicht allein sein. Aber das konnte ich nicht.
»Weiß ich«, sagte er. »Trotzdem.« Und schon drückte er wieder auf den Knopf, sodass sich die Türen öffneten, und ging einfach, ohne sich in irgendeiner Weise von mir zu verabschieden.
So eine verdammte Scheiße! Warum hatte er damit angefangen, um dann doch wieder zuzumachen. Ich wollte diese Sehnsucht nicht, hatte sie nie gewollt, und jetzt war ich ihr hilflos ausgeliefert.
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand in den Aufzug und sah ihm nach, in der Hoffnung, dass sich die Türen niemals wieder schließen würden. Mike ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zur Hintertür, als hätte unser Gespräch nie stattgefunden, unsere Berührung, als hätte die erneute Erinnerung daran, dass Robin tot war, alles wieder kaputt gemacht.
Der Aufzug schluckte mich und brachte mich maximal weit weg von Mike. Ich hatte auf den obersten Knopf gedrückt, wollte aufs Dach und mir ein bisschen den Wind um den Kopf pusten lassen. Doch dann drückte ich doch noch schnell die »8«.
Wegen der Bücher, sagte ich mir. Warum hatte Robin diese Bücher zu Mike geschleppt? Doch nicht, um sich damit zu ertränken, wie Janni blödsinnigerweise behauptet hatte. Ich musste die Chance nutzen. Der Aufzug hielt und klappte seine Tür auf. Den Schlüssel hatte ich inzwischen schon griffbereit in der Hand. Da verließ Frau Mitschke ihre Wohnung nebenan.
»Hallo Michelle, du willst bestimmt zu Robins Eltern«, sagte sie. »Aber die sind nicht da. Die müssen zur Polizei.« Sie sagte es, als hätten Lisa und Wolfgang Richter etwas verbrochen.
»Ich weiß, da muss ich auch noch hin.«
»Ja, ich auch«, seufzte die alte Frau, die sich gegen die Sonne einen Hut aus Segeltuch aufgesetzt hatte. »Dabei hab ich den Richters schon alles erzählt, was ich weiß. Und den Polizisten gestern auch. Ich mein, ich weiß ja nichts. Ich hab ihn ja nur als Erste gefunden.« Sie senkte den Kopf und strich sich mit der Hand über die Augen.
»Die Richters wollten mich ja mitnehmen zur Polizei, aber ich wollte nicht stören. Die beiden können ein bisschen Ruhe jetzt bestimmt gut gebrauchen.«
»Ja, bestimmt.«
»Du warst gestern plötzlich weg. Die Polizei wollte dich auch befragen«, sagte sie.
»Mir war schlecht«, versuchte ich, eine weitere Diskussion abzuwiegeln.
Pro forma fuhr ich mit dem Aufzug wieder nach unten, verabschiedete mich in unserer Etage von Frau Mitschke und schlich über die Treppe in den achten Stock zurück.
Ich kam mir vor wie eine Einbrecherin, als ich den Schlüssel aus dem Umschlag im Keller ins Schloss steckte. Mein Blick fiel auf Robins Namen auf dem Klingelschild. Dort existierte er noch. Keiner hatte ein Kreuz daneben gemalt, wie in den Todesanzeigen in der Zeitung. Der Schlüssel passte, ließ sich umdrehen, die Tür ging auf. Sobald ich drin war, zog ich den Schlüssel wieder ab und steckte ihn in den Stiefel. Früher als in zwei Stunden würden die Richters sicher nicht zurückkommen, schätzte ich.
Immer noch hing dieser merkwürdige Geruch in der Wohnung, diese Mischung aus altem, kaltem Zigarettenrauch, Essensgerüchen, Wolfgangs Aftershave. Er hatte sich für das Polizeiverhör wohl ordentlich einparfümiert. Obwohl die Fenster auf Kipp standen, hatte ich wieder das Gefühl, dringend frische Luft zu brauchen.
Die Tür zum Badezimmer stand offen. Ich warf einen Blick hinein und sah, dass hier vor Kurzem jemand gebadet hatte. Das Wasser war bereits abgelaufen, aber die Schaumreste bedeckten noch den Wannenboden und fingen langsam an zu
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