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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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Schreibtischschublade auf. Keine Ahnung, was ich zu finden hoffte. Einen Stapel zusammengebundener und nicht abgeschickter Liebesbriefe an mich?
    Aber in der Lade befanden sich nur jede Menge Schmierzettel – mit hingekritzelten Internetadressen, Buchtiteln, Telefonnummern, kaum zu entziffern. Der Wind, der durch das gekippte Fenster drang, blies hinein. Darunter lagen ein paar leere Blätter. Ich nahm eines davon hoch und drehte es um. Die Rückseite war eng mit Text bedruckt, der mit Kuli durchgestrichen war. Auch die anderen Zettel sahen so aus und lagen mit der beschrifteten Seite nach unten.
    Ich überflog die Blätter und blieb an einer Stelle hängen, konnte nicht fassen, was ich da las: Die Kopfzeile lautete »Amok für Gott«. Der Text endete kurz danach, weil die Patrone ausgetrocknet oder leer gewesen war: »Amokläufe haben aufgrund der sensationslüsternen Medien einen schlechten Ruf bekommen …«
    Ich sah auf das Datum des Ausdrucks: Er stammte von letzter Woche.
    Ich konnte nicht glauben, dass sich Robin nicht nur im Untericht dafür interessierte, sondern sich scheinbar auch in seiner Freizeit mit Amok beschäftigt hatte.
    Waren die Bücher in der Tasche nur Tarnung gewesen? Wollte er in der Tasche eigentlich eine Waffe transportieren, wie dieser Spinner von Elbdetten? Der hatte doch genau so eine Sporttasche gehabt, oder nicht?, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte das Bild wieder vor Augen, wie Robin vorgestern Nachmittag mit der Tasche aus dem Keller gekommen und nach oben gefahren war. Aber eine Waffe war ja weder von Polizei noch von der Zeitung erwähnt worden.
    Vielleicht war Robin nicht mehr dazu gekommen, sie zu holen?
    Aber woher denn auch? Wolfgang war nicht wie der Vater des Schützen von Elbdetten in einem Schießsportverein.
    Wenn er aber eine gehabt hatte, dann seit wann? Und was genau hatte er geplant? Hatte er die Waffe gestern bei Mike dabeigehabt? Ich bekam zittrige Knie und musste mich auf den Boden setzen.
    Vielleicht hielt die Polizei diese Information zurück? Und die Richters auch?
    Wer wollte schon einen Amokläufer als Sohn!? Aber wieso hatte er es sich dann doch anders überlegt und war statt des Amoks vom Balkon gesprungen?
    Nein! Das machte doch alles keinen Sinn! Es gab sicher für alles eine normale Erklärung: Wir waren alle gerade ein wenig überdreht und Robin war ganz einfach vom Balkon gefallen.
    Ich legte die fragliche Seite – er hatte sie immerhin durchgestrichen! – wieder ganz unten auf den Boden der Schreibtischschublade und stapelte den Rest darüber. Ob die Polizei sie nicht gefunden oder sie nicht weiter beachtet hatte? Genauso wenig wie mein Foto? Weil jeder Jugendliche mal Liebeskummer oder Rachefantasien hatte?
    Dann ließ ich meinen Blick über das geplünderte Regal wandern. Auf dem untersten Regalbrett stand noch der Duden mit der neuen Rechtschreibung und dazu viele Schulbücher. Aber alle Kinderbücher waren verschwunden, die Jugendbücher auch, ebenso »Der Herr der Ringe«. Robin hatte seine Bücher alphabetisch geordnet.
    Im zweitobersten Fach links lag ein dünnes Buch mit weißem Einband flach auf dem Regalbrett und ragte ein gutes Stück über den Rand hinaus. Ich musste mich auf einen Stuhl stellen, um dranzukommen. Als ich danach griff, wirbelte Staub auf und ich sprang schnell vom Stuhl, bevor ich das Gleichgewicht verlor. Der Titel war »Null« – ich überflog die Inhaltsangabe: Es ging um einen sechzehnjährigen Jungen, der in einer Glücksskala von null bis zehn bei allem immer bei null landete, aber total zufrieden damit war, weil er nichts anderes erwartete und so weder enttäuscht noch verletzt werden konnte. Ich ließ die Seiten schnell durch meine Finger gleiten, nahm das Buch an den beiden Enden des Einbandes und schüttelte es. Doch nichts flatterte heraus, kein Foto oder ein nicht abgeschickter Liebesbrief oder etwas Ähnliches.
    Warum hatte Robin ausgerechnet dieses Buch so auffällig platziert? War es vielleicht sein Lieblingsbuch? Nein, dann hätte er es mitgenommen. Dann war es vielleicht eine Botschaft? Wie auch der Briefumschlag mit dem Handy und dem Schlüssel? Der war auch nicht wirklich schwierig zu finden gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man glücklich leben konnte, ohne jemals etwas zu bekommen. Ob Robin versucht hatte, so zu leben? Völlig anspruchslos? Weil er es ohnehin aufgegeben hatte, von uns etwas zu erwarten? Wenn dieses Konzept funktionieren würde, wäre das vielleicht DIE Lösung, um

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