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Hasstament

Hasstament

Titel: Hasstament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serdar Somuncu
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auch noch ’n schlechtes Gewissen haben, weil andere vielleicht nicht die Möglichkeit haben, fett zu werden. Was kann ich denn dafür, dass andere nicht fett werden können?
    Ja, warum? Weil ’se kein Geld haben oder nichts zu essen oder irgendein anderen Scheißdreck halt.
    Fett sein muss man sich ja erstmal leisten können, in anderen Kulturen ist man gerne fett, weil’s ’n Wohlstandssymbol ist, fett zu sein. Bei uns muss man sich auch noch schämen, fett zu sein! Dankbar sollte man dafür sein, dass man ’n bisschen was gefressen hat und sich hier unten und hier da am Bauch Schwabbelhüften und Doppelkinne bilden. Außerdem ist es viel gemütlicher, da kann man über andere Leute herziehen, ohne Angst zu haben, dass man verhungern muss.
    Wenn jetzt zum Beispiel ’n Äthiopier frech wird und anfängt über mich zu lästern, dann muss er doch gleichzeitig Angst haben, dass er so viel Energie dabei verliert, dass ihn der Hungertod zur Strecke bringt.
    Die Äthiopier müssen also immer schön freundlich bleiben und von der Hand voll Reis, an der sie nagen, ja, sich erstmal ... satt werden, fiel mir gerade nicht ein das Wort. Satt, hab’ ich schon lang nicht mehr gehört das Wort: satt! Umso häufiger hör’ ich ›Hunger!‹ Ja, satt, ich weiß gar nicht mehr, was das bedeutet. Satt.
    Aber andererseits gibt’s auch Motivationen abzunehmen. Zum Beispiel, um der Depression Humus zu geben, dünne Leute sind ja viel häufiger depressiv, es gäbe andere Motivationen, man will der Schnellste sein, beim 100-m-Lauf, aber da würde es auch schon reichen, wenn man ’ne Geschlechtsumwandlung manipulierte oder vortäuschte, zum anderen Geschlecht zu gehören, ja. Es gäbe auch den Grund, dass man attraktiv sein will, aber warum soll man heutzutage noch attraktiv sein? Man kriegt ja alles gratis! Man kriegt ja eine Wichsvorlage nach der anderen!
    Man kann ja auch auf’n Strich bzw. einkaufen gehen auf’n Strich, also nicht jetzt selber auf’n Strich gehen, obwohl das wär’ auch ’ne Möglichkeit, ja, manche mögen’s ja.
    Auf solche Gedanken kommt man nur, wenn man fett genug ist, ja.
    Wie die Made im Speck, ja, wie mein Freund und Mentor sagen würde.
    (Serdar imitiert Adolf Hitler.): ›Wie die Made im Speck!‹
    Ich hab’ Hunger.«

    SHN, Kapitel 64: Leben und Tod
    Serdar aus dem Off: »Düdedüdüdüdüdü! Sie sehen eine Spezialausgabe der Hatenight mit dem Wort zum Sonntag, gesprochen vom Hassias.«
    Hassias: »Nun, 2009 ist das Jahr der Untot-Toten: Michael Jackson, Farra Faushit, David Hasselhof und jetzt auch Robert Lembke. Sie alle hat der schnelle Tod ereilt, manche haben ihn sich auch gewünscht, herbeigesehnt, organisiert, inszeniert, sich vor den Zug gestellt und auf den finalen Elfmeter gewartet, hehehehe. Dabei ist das Sterben eine Angelegenheit Gottes. Niemand hat das Recht, über sich selbst zu richten, und niemand darf das Schicksal in die Hand nehmen und den Sarg mit der Erlösung verwechseln. Ist deswegen nicht auch das Wort ›Wut‹ angebracht? Niederträchtigkeit. Darf man den sich selbst Tötenden nicht auch im Jenseits noch schmähen, weil er den Zugfahrer zum Mörder macht, seine Frau zur Witwe und sein Kind zur Weisen? Nun, das sind Fragen, die stellt man sich ungern, weil man im Betroffenheitsduktus der Masse, die sich selten dessen bewusst ist, dass sie mit Schuld ist an der Isolation des Einzelnen, eben betroffen zu sein hat und seinen Arsch in die nächste Kirche bewegt und weint und sich schämt zugleich, weil man es viel vorher, viel früher schon hätte merken müssen, hehe, aber auch trotzdem nicht hätte verhindern können, denn nun, so wissen wir ja, ist Depression ja eine Volkskrankheit.
    Welche Überraschung!
    Depression ist eine Volkskrankheit, hehe!
    Ich scheine der Einzige zu sein, der es nicht hat und sich deswegen auch nur im Falle eines Falles vor den Zug schmeißt. Dann wenn er beispielsweise zu viele Schulden hat, dann wenn er zum Beispiel Christoph Daum gebeichtet haben könnte, dass er kleine Kinder vögelt, irgendetwas muss ja da gewesen sein, denn so ohne Grund, nun, ich meine ohne dass man es sich verdient hat, nun, ich meine ohne dass irgendwann im Jenseits abgerechnet wird, hat man sich das ja wohl nicht eingefangen, dass man nachts mit dem Auto vor die Gleise fährt und sich dann überlegt, wie man sich am besten vor den Zug schmeißt.
    Ich weiß, für den einen oder anderen mag das pietätlos sein, ist aber nicht unser Leben viel pietätloser, wenn wir

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