Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hasstament

Hasstament

Titel: Hasstament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serdar Somuncu
Vom Netzwerk:
schneller um sich selbst, kein Diminuendo, immer nur crescendo, kein Accelerando, nein ein einziges Wetttreiben.
    Ja, eine Wäschetrommel, in der man verrückt wird, weil man sich darüber wundert, dass es nicht nur diese Arschlöcher gibt, sondern wie viel Macht diese Arschlöcher im Kleinen wie im Großen auch haben und wie sie ihre Macht auch ausüben, wie sie Meinung erzeugen, proportionieren. Ja, der Proporz regiert und die Korruption, die den Proporz füttert. Und dann werden Boatpeoples zu Ministern, dann werden Latenight-Moderatoren zu Instanzen, dann wird das Feuilleton plötzlich die Regierung im Kopf, ja und der, der das Feuilleton gar nicht liest, sondern nur noch die Schlagzeile versteht, zum Transportmittel derer, die uns beeinflussen wollen, denn der, der die Masse regiert, ist zugleich auch der, der den Geschmack diktiert. Jaa, so einfach ist das und dass man darüber nur verrückt werden kann oder sich selbst erschießt oder den Nächstbesten oder zu diesem Denunzianten-Schwein geht, diesem Rädchen in der Diktatur und ihn verantwortlich macht für alles Unrecht auf der Welt, das ist nicht Fatalismus, das ist selbstgerecht, das ist die adäquate Schlussfolgerung aus diesem Wahnsinn, dem Kollektiven, dem wir uns überlassen haben. Ja, indem wir uns nur noch dann spüren, wenn wir das Mitleid, das wir haben, namentlich benennen. Einen Schlaganfall, ahhhhh, hat uns vorher einen Scheißdreck interessiert, da konnten wir Schlaganfall noch nicht mal buchstabieren, und bei den Millionen anderen, die krepiert sind, da können wir uns die Namen nicht merken, weil sie aus Timbuktu kommen oder aus Honolulu oder aus Teneriffa oder aus was weiß ich, aus meinem Arschloch kriechen. Teilzeit-Empathie, gelebt von Leuten, die sich selbst nicht spüren, weil sie nichts spüren wollen. Die das Leben nur verstehen als Dasein und nicht als Bringen – seinen Anteil nämlich dazu, dass unser Dasein in der Gemeinschaft erträglicher wird.
    Hahaa, welch pathetischer Ansatz, ich bin Moralist, ich bin Moralist. Ja, dasselbe Arschloch wie das, das ich den anderen vorwerfe zu sein. Ich liebe letztendlich nur schlechtes Wetter, der Regen vertreibt mir die Zeit, das Geräusch des Prasselns ist nicht anders als das Geräusch des Knisterns in den Ohren derer, die mich nicht verstehen, und deshalb fahre ich immer schnell, weil ich den nächsten Unfall in Kauf nehme.
    Ich möchte heldenhaft sterben, nicht als Weichei, als Feigling untergehen und mir selbst nicht ins Gesicht blicken können. Mit geöffneten Augen gegen den nächsten Baum. Hahah, so will ich meine nächste Latenight eröffnen, ja verlasst euch drauf, ich lass’ mich auch nicht von irgendwelchen Schützern irritieren, die meinen, sie müssten die Jugend in Gewahrsam nehmen vor dem Zugriff des Bild- und Sprachrüpels. Ja, das würd’ ich gar nicht schaffen bei der Drecksjugend, die ist schon verdorben bis ins Mark. Auch nur so ein Fake, dass man meint, Dinge schützen zu müssen, die einen Panzer anhaben, und andere beschießt, die fragil sind bis ins Mark. Hehehhahahehe.«

    SMHN, Kapitel 16: Alkologie
    Serdar im Auto: »Neulich habe ich überlegt, so nach dem fünften Bier und der zweiten Flasche Wein, ob ich schon Alkoholiker bin oder nur alkoholgefährdet? Ich mach’ ja immer diese Tests bei Für Sie, wo man 18 Fragen beantwortet, und wenn man mindestens einmal ›Ja‹ sagt, muss man zum Arzt gehen und sich das Saufen abgewöhnen lassen.
    Für einen kurzen Moment hatte ich Angst, dachte: ›Was ist jetzt, wenn du Alkoholiker bist? Dann kommst du nicht mehr los davon.‹ Eine Sucht ist ja was schrecklich Unfreies, die bindet einen an das, was einen süchtig macht. Dann muss man Vorrat besorgen, in den Supermarkt gehen und Schnaps kaufen, hat ’ne Fahne und alle Leute reden über einen. Und zuhause öffnet man mit zitternden Händen die Flasche, die längst zur Partnerin geworden ist, weil die Partnerin zur Flasche gegangen ist.
    Hahaha, und trinkt, um zu vergessen, trinkt, um eine Depression zu verdrängen, trinkt, um stark zu sein, das Leben zu ertragen. Dem Schicksal zu trotzen, man trinkt. Ja eigentlich ’ne gute Lösung, wenn es nicht so suchtgefährdend wäre, eigentlich ’ne gute Lösung. Die Flasche spricht nicht, die Flasche hat keine Schnauze, die Flasche ist nicht dreist, die verlangt nicht, macht kein Schuldgefühl. Das Schuldgefühl macht man sich selbst, weil man denkt, man hätte etwas verbrochen, dabei könnte man es sich auch einfach nur

Weitere Kostenlose Bücher