Hast du mich nie geliebt
so blind gewesen, nichts von seiner Absicht zu merken? Hatte sie sich bereitwillig verführen lassen, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde? Wie hatte sie nicht merken können, dass er sie für Stephanos' Geliebte gehalten hatte? Und wie hatte sie nur tatsächlich glauben können, dass er etwas für sie empfand? Er hatte sie als Werkzeug seiner Rache benutzt. Das war die einzige Wahrheit. Und sie war sehr bitter.
In diesem Moment klopfte jemand an die Tür. Janine erstarrte, dann drehte sie sich langsam um.
Eine Frau stand im Türrahmen und sah sie fragend an. Sie war schmal und grazil, elegant gekleidet wie die Frauen aus Südfrankreich, die Janine immer bewundert hatte. Janine schätzte sie auf Ende dreißig.
"Darf … darf ich hereinkommen?"
Janine zögerte kurz, dann nickte sie.
"Natürlich. Das … das ist ja schließlich Ihr Haus", erwiderte sie. Fasziniert sah sie die andere Frau an. Sie wirkte sehr bedrückt und angespannt. Trotzdem konnte man in ihren Zügen deutlich die Familienähnlichkeit mit Nikos erkennen. Es schmerzte sie, als hätte man ihr einen Dolch ins Herz gestoßen.
Die Frau schloss leise die Tür, ging dann auf Janine zu und streckte die Hand aus. "Ich bin Demetria Ephandrou. Stephanos hat mir gesagt, wer Sie sind. Ich wünschte, wir hätten uns unter angenehmeren Umständen kennen gelernt."
Janine schluckte. "Bitte nehmen Sie es Stephanos nicht übel, dass er Ihnen meine Existenz verschwiegen hat. Er wollte Sie nur schonen. Mir war klar, dass es Ihnen sehr wehtun würde."
"Warum? Wie meinen Sie das?" Demetria sah sie erstaunt an.
"Weil … nun, er hat mir erzählt, dass Sie Schwierigkeiten haben, Kinder zu bekommen. Und Ihnen eine erwachsene Tochter zu präsentieren, wäre wohl …"
"Schlimmer gewesen, als zu glauben, er hätte sich eine junge Geliebte genommen?" unterbrach Demetria sie. Sie hatte plötzlich ein Funkeln in den Augen.
Janine schüttelte nun den Kopf. "Nein, wahrscheinlich nicht."
"Obwohl wir nun schon so viele Jahre zusammen sind, scheint er mich immer noch nicht zu kennen", sagte Demetria bitter. "Es hätte mich im Gegenteil sehr gefreut, zu wissen, dass es Sie gibt."
"Gefreut?" Janine glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen.
"Ja, denn Sie sind der Beweis dafür, dass er sehr wohl Kinder zeugen kann. Ich war mir nicht sicher, wer von uns beiden die Schuld daran trägt. Gut, ich habe all diese Tests machen lassen, aber Ärzte können sich irren. Doch jetzt, wo Sie hier sind, gibt es keinen Zweifel mehr. Das macht mich sehr froh!"
"Sie sind froh darüber, dass es mich gibt?" Janine verstand die Welt nicht mehr. Damit hatte sie nicht gerechnet.
"Und wie! Ich freue mich für ihn und für Sie! Es wird sein Leben so sehr bereichern. Natürlich werde ich auch selbst alles tun, um ein Kind von ihm zu bekommen. Aber jetzt weiß ich wenigstens, dass es Hoffnung gibt."
Plötzlich erlosch ihr Lächeln. "Ich hätte ihm von Anfang an vertrauen sollen", meinte sie bitter. "Er hat mich immer geliebt, er ist mir immer treu gewesen. Mein eigener Kummer hat mich blind und misstrauisch gemacht. Wie konnte ich nur glauben, dass er mich betrügen würde? Deshalb ist auch alles, was geschehen ist, meine Schuld."
Janine blieb stumm. Sie wusste, worauf Demetria anspielte, aber sie wollte jetzt nicht an Nikos denken.
"Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich … bestimmt können Sie mir nicht verzeihen, aber …"
Janine hob die Hand. Sie spürte, dass ihr die Situation über den Kopf wuchs. Plötzlich hatte sie das Gefühl, in einer griechischen Tragödie zu sein. Es wurde ihr einfach alles zu viel.
"Bitte, ich … könnte ich mich vielleicht ein paar Minuten hinlegen? Mir ist ein bisschen schwindelig."
Besorgt sah Demetria sie an. "Aber natürlich. Die ganze Situation nimmt Sie bestimmt sehr mit. Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Einen Tee oder Kaffee?"
"Nein, vielen Dank. Ich brauche nur ein wenig Ruhe."
"Selbstverständlich. Dann bis später."
Sie eilte mit sorgenvoller Miene aus dem Zimmer.
Langsam ließ Janine sich auf der Bettkante nieder. Ihre Beine fühlten sich schwer wie Blei an. Sie streckte sich auf dem Bett aus und schloss die Augen.
Ich möchte schlafen, dachte sie. Nicht träumen, nur schlafen …
Aber sie träumte sofort, träumte von Nikos. Er hielt sie umfangen, und sie war so froh, dass sie wieder zusammen waren. Sie hatte einen Albtraum gehabt, doch er war jetzt vorüber. Nikos schloss sie in seine Arme, küsste sie, liebte sie … sie
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