Hasturs Erbe
Hausgewand.
»Liebling, was ist los?«
»Ich weiß es nicht. Es ist die Totenklage!« Sie streckte eine Hand aus und zwang eine der vorbeieilenden Frauen zum Stehenbleiben. »Was ist los? Was soll das Klagen? Was ist geschehen?«
Die Frau rang nach Luft. »Es ist der alte Herr, Domna Marguerida . Euer Pate. Er ist heute Nacht gestorben …«
Sobald ich die Worte vernahm, merkte ich, daß ich sie erwartet hatte. Ich war betroffen und bekümmert. Selbst in so kurzer Zeit hatte ich meinen Onkel lieben gelernt, und über meinen persönlichen Kummer hinaus war ich bestürzt über die Bedeutung seines Todes. Nicht nur für die Domäne Aldaran, sondern für ganz Darkover. Er hatte lange und gut regiert.
»Thyra«, flüsterte Marjorie. »Evanda sei uns gnädig. Was wird sie tun. Wie wird sie leben können?« Sie umklammerte meinen Arm. »Er ist ihr Vater, Lew! Wußtest du das? Mein Vater hat sie anerkannt, doch sie war nicht von ihm. Und es war ihre Handlung, ihr Fehler, der ihn getötet hat!«
»Nicht ihrer«, sagte ich sanft. »Sharras.« Ich hatte zu glauben begonnen, daß wir vor ihr alle hilflos waren. Morgen – nein, heute, je eher, desto besser – würde ich sie dem Schmiedevolk zurückgeben. Desideria hatte recht gehabt: Bei ihnen hatte sie sicher gelegen. Sie hätte dort bleiben sollen. Ich quälte mich mit dem Gedanken, was Beltran wohl dazu sagen würde. Aber Kadarin hatte Desideria versprochen, es meinem Urteil zu überlassen.
Zunächst mußte ich dem Totenzimmer einen Besuch abstatten und meinem Stammesbruder die letzte Ehre erweisen. Der hohe Klageton der Todesrufe drang heraus und zerrte an meinen ohnehin nur noch fadendünnen Nerven. Marjorie umklammerte verzweifelt meine Finger. Als wir den großen Raum betraten, hörte ich Thyras Stimme in einen Schrei ausbrechen: »Hört mit diesem heidnischen Gejaule auf! Ich will das hier nicht haben!«
Ein paar Frauen brachen mitten in ihrem Klagelied ab. Andere hörten unentschlossen auf, um aufs neue zu beginnen. Beltrans Stimme klang wie ein harter Schrei: »Du, die du ihn umgebracht hast, Thyra, willst du ihm den angemessenen Respekt verweigern?«
Sie stand am Fußende des Bettes. Den Kopf hatte sie trotzig zurückgeworfen. Sie klang, als sei sie am äußersten Ende ihrer Duldsamkeit angelangt. »Du abergläubischer Idiot! Glaubst du wirklich, sein Geist sei hiergeblieben, um sich, über seinem Leichnam schwebend, das Gejammere anzuhören? Ist das deine Vorstellung von angemessenen Trauertönen?«
Beltran sagte leicht besänftigt. »Angemessener vielleicht als dieser Streit, Pflegeschwester.« Er sah aus, wie man nach einer langen Nachtwache und einem Todesfall aussieht. Er machte eine Handbewegung in Richtung der Frauen. »Geht. Klagt anderswo weiter. Die Tage sind lange schon vorbei, wo man die Dämonen vom Totenbett fortklagen mußte.«
Man hatte Kermiac bereits ordentlich aufgebahrt. Die Hände lagen verschränkt über der Brust, die Augen waren geschlossen. Marjorie schlug über seiner Stirn das Cristoforo -Zeichen, dann vor ihrer eigenen. Sie beugte sich nach vorn, drückte für eine Sekunde die Lippen auf die Stirn des Alten und flüsterte: »Ruhe in Frieden, mein Lord. Heiliger Bürdenträger, gib uns die Stärke, deinen Verlust zu ertragen.« Dann wandte sie sich ruhig ab und beugte sich über die weinende Thyra.
»Er ist jenseits von Vergeben oder Vorwurf, Liebling. Quäle dich nicht so. Wir, die Lebenden, müssen es nun auf uns nehmen. Komm hier weg. Liebes, komm hier fort.«
Thyra brach in entsetzliches Schluchzen aus und ließ sich von Marjorie aus dem Zimmer geleiten. Ich blickte hinab auf das ruhige, beherrschte Gesicht. Einen Augenblick erschien es mir, als läge hier mein eigener Vater. Ich bückte mich und küßte die kalte Stirn, wie es Marjorie zuvor getan hatte.
Dann sagte ich zu Beltran: »Ich habe ihn nur kurze Zeit gekannt. Es bedeutet für mich einen großen Verlust, daß ich nicht eher hierhergekommen bin.« Ich umarmte meinen Vetter, preßte Wange gegen Wange und fühlte, wie sich mein Kummer mit seinem Schmerz vermischte. Beltran wandte sich bleich und gefaßt ab, als Regis das Zimmer betrat; Danilo folgte auf den Fersen. Regis sprach einen kurzen, förmlichen Kondolenzsatz und streckte die Hand aus. Beltran verbeugte sich, sprach jedoch kein Wort. Hatte sein Kummer seine Höflichkeit ausgelöscht? Er hätte Regis als seinen Gast willkommen heißen müssen. Irgendwie wurde mir unbehaglich, weil er es unterließ. Danilo
Weitere Kostenlose Bücher