Hasturs Erbe
schlug wie Marjorie zuvor über dem Kopf des alten Mannes das Cristoforo -Zeichen und flüsterte, wie ich vermutete, eines ihrer Gebete und verbeugte sich dann förmlich vor Beltran.
Ich folgte ihnen nach draußen. Regis sah aus, als habe er gleich mir eine Nacht voller Alpträume hinter sich, und war vollständig gegen mich abgeschirmt – etwas Neues und sehr Beunruhigendes. Er sagte: »Er war dein Verwandter, Lew. Es tut mir leid für dich. Und ich weiß, daß mein Großvater ihn respektiert hat. Es trifft sich gut, daß einer von den Hasturs da ist, um unsere Beileidsbekundungen zu überbringen. Jetzt wird sich hier in den Bergen einiges ändern.«
Das war auch mein Gedanke gewesen. Der Anblick von Regis, der fast automatisch seinen Platz als offizieller Vertreter der Comyn einnahm, beunruhigte mich. Ich wußte, daß sein Großvater es begrüßt hätte, aber mich überraschte es.
»Er hat mir kurz vor seinem Tod gesagt, Regis, daß er auf den Tag hoffe, an dem du und Beltran an einem Tisch zusammen eine bessere Zukunft für die Welt planen würdet.«
Regis lächelte ausdruckslos. »Das wird wohl Prinz Derik zustehen. Die Hasturs sind zur Zeit nicht die Könige.«
Ich gab ihm ein skeptisches Lächeln. »Aber sie stehen dem Thron am nächsten. Ich habe keinen Zweifel, daß dich Derik zu seinem engsten Berater machen wird, so wie seine Verwandten deinen Großvater wählten.«
»Wenn du mich liebst, Lew, dann wünsche mir keine Krone«, sagte Regis mit einem ablehnenden Schaudern. »Aber genug der Politik. Ich werde natürlich bis zum Begräbnis bleiben. Ich bin Beltran gegenüber zwar nicht verpflichtet, aber ich möchte auch nicht das Totenbett seines Vaters beleidigen.«
Wenn Kermiacs überraschender Tod Regis’ unmittelbare Abreise verzögerte, müßte ich auch in aller Ehrfurcht mein Ultimatum gegenüber Beltran verlängern. Jetzt erwartete ich davon weniger Probleme, da er den bitteren Geschmack der Gefahren der Sharra-Matrix geschmeckt hatte. Kadarin würde sich als weniger zugänglich erweisen. Doch vertraute ich auf seine Vernunft und seine Zuneigung zu uns allen.
Und so sprach in den Tagen der Trauer um den alten Lord von Aldaran niemand von Sharra oder Beltrans Plänen. Während dieser Tage konnte ich mich vor der Erinnerung und der Angst abschließen. Nur in entsetzlichen Träumen kehrten sie zurück und umkrallten mich mit Höllenqualen …
Die Begräbniszeremonien waren vorüber. Einer nach dem anderen reisten die Lords aus den Bergen, die gekommen waren, dem Toten die letzte Ehre zu erweisen und Beltran ihrer Unterstützung zu versichern, wieder ab. Beltran vermittelte den Eindruck ernster Würde. Unbewegt nahm er ihre Schwüre von Freundschaft und Unterstützung entgegen, doch spürte ich bei all diesen Menschen aus dem Gebirge ein Bewußtsein, daß eine Ära unwiderruflich ihr Ende gefunden hatte. Auch Beltran war sich dessen bewußt, und ich fühlte, es bestärkte seinen Entschluß, nicht friedlich den Weg zu gehen, den sein Vater vor ihm gegangen war, sich nicht auf den Erfolgen seines Vaters auszuruhen und ihre Huldigung anzunehmen, weil sie Kermiac gegenüber freundschaftliche Gefühle hegten, sondern seinen eigenen Weg zu finden.
Wir beide waren uns so ähnlich, ähnlicher hätten sich kaum Zwillinge sein können. Und dennoch waren wir sehr verschieden. Ich hatte nicht gewußt, daß er auch Ehrgeiz kannte. Ich hatte die letzten Überreste persönlicher Ambitionen auf dem Arilinn verloren, hatte Vaters Versuche, sie in der Wache wieder bei mir wachzurufen, verachtet. Jetzt war ich zutiefst verstört. Würde er sich seine Pläne ohne Protest aus dem Kopf schlagen? Es würde all meiner Überredungskunst bedürfen, allen Takts, um ihn zu überzeugen, einen für die Welt weniger gefährlichen Weg einzuschlagen. Irgendwie mußte ich ihm klarmachen, daß ich immer noch seine Hoffnung teilte, für seine Ziele arbeiten und ihm soweit wie möglich helfen würde, selbst wenn ich unwiderruflich den Weg zurückwies, den er und Kadarin eingeschlagen hatten.
Als die Lords aus den Bergen abgereist waren, bat Beltran Regis und Danilo höflich, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich hatte bei beiden nicht mit einer Zustimmung gerechnet, doch zu meiner Überraschung nahm Regis die Einladung an. Vielleicht war es doch nicht so überraschend. Er sah entsetzlich krank aus. Ich hätte mit ihm reden sollen, hätte versuchen sollen herauszufinden, was ihn plagte. Doch wann immer ich mit ihm allein reden
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