Hasturs Erbe
Dolch. Danilos Waffe sah sehr alt aus. Ein Familienerbstück?
Alle von ihnen waren hier, weil auch ihre Vorväter hier gewesen waren, dachte Regis mit der alten Verachtung. Er schwor sich, niemals würde er den für die Hasturs vorgezeichneten Weg betreten, und dennoch war er hier.
Der Kadettenoffizier ging durch den Raum und überprüfte ihn ein letztes Mal. Am anderen Ende des Zimmers befand sich ein freier Raum mit einigen groben Bänken und einem abgenutzten Holztisch. Es gab einen Kamin, aber im Moment brannte kein Feuer. Die Fenster waren hoch und schmal, ohne Glas und mit losen Holzladen versehen, die man bei schlechtem Wetter schließen konnte, wobei man in Kauf nahm, das Tageslicht auszusperren. Der Kadettenoffizier sagte: »Man wird im Laufe des Tages nach jedem von euch schicken, damit ihr durch einen Waffenmeister geprüft werdet.« Er sah Regis am Ende seiner Pritsche sitzen und ging durch die Bettenreihe auf ihn zu.
»Du bist zu spät gekommen. Hat dir irgend jemand eine Kopie des Waffenhandbuches gegeben?«
»Nein, Sir.«
Der Offizier gab ihm ein abgenutztes Büchlein. »Ich habe gehört, du bist in Nevarsin erzogen worden. Vermutlich kannst du lesen. Noch irgendwelche Fragen?«
»Ich habe … mein Großvater hat … meine Sachen noch nicht hier. Kann ich sie holen lassen?«
Der ältere sagte nicht unfreundlich: »Es gibt hier niemanden, der dir Dinge holt und bringt, Kadett. Morgen nach dem Abendessen wirst du etwas Freizeit haben, und du kannst dann holen, was du benötigst. In der Zwischenzeit mußt du mit den Kleidern auf dem Leib vorliebnehmen.« Er sah an Regis herab, und Regis vermeinte ein verstecktes spöttisches Lächeln über seine feinen Kleider zu entdecken, die er heute morgen angelegt hatte, um bei seinem Großvater vorstellig zu werden. »Du bist das Namenlose Erstaunen, nicht wahr? Kennst du nun deinen Namen?«
»Kadett Hastur, Sir«, sagte Regis, und sein Gesicht brannte erneut. Der Offizier nickte und sagte: »Sehr gut, Kadett« und ging fort.
Und das war offensichtlich der Grund, warum sie es taten, dachte Regis. Wahrscheinlich vergaß es niemand ein zweites Mal.
Danilo, der zugehört hatte, sagte: »Hat dir niemand gesagt, am Abend vorher deine Sachen herunterzubringen? Das ist der Grund, warum mich Lord Alton so früh hierhergeschickt hat.«
»Nein, niemand hat es mir gesagt.« Wenn er doch nur Lew gefragt hätte, was er in den Baracken benötigen würde, als sie noch als Freunde miteinander reden konnten.
Danilo sagte schüchtern: »Das sind doch deine besten Sachen, nicht wahr? Ich könnte dir ein normales Hemd leihen. Wir haben ungefähr die gleiche Größe.«
»Danke, Dani. Das wäre sehr nett von dir. Dieser Anzug ist nicht sehr passend, stimmt’s?«
Danilo kniete vor seiner Holzkiste, brachte ein sauberes, aber sehr schäbiges Hemd zum Vorschein, das an den Ellenbogen mehrfach geflickt war. Regis zog die gefärbte Wildledertunika aus, ebenso das feine Rüschenhemd darunter und glitt in das geflickte. Danilo entschuldigte sich. »Mir ist es auch etwas zu groß. Es gehörte vorher Lew – Kapitän Alton, meine ich. Lord Kennard hat mir einige seiner abgelegten Sachen gegeben, damit ich eine anständige Ausstattung für die Kadettenzeit habe. Er hat mir auch ein gutes Pferd gegeben. Er ist sehr freundlich zu mir.«
Regis lachte. »Ich habe auch immer Lews abgelegte Sachen getragen, als ich dort lebte. Ich bin immer aus meinen herausgewachsen, und da die Feuerwache alle paar Tage zusammengerufen wurde, hatte niemand Zeit, mir neue zu machen oder in die Stadt danach zu schicken.« Er schloß die Bänder am Hals. Danilo sagte: »Es fällt schwer, sich vorzustellen, daß du abgelegte Sachen trägst.«
»Ich hatte nichts dagegen, Lews Sachen zu tragen. Aber ich habe es gehaßt, die abgelegten Nachthemden meiner Schwester zu tragen. Ihre Gouvernante hat ihr das Nähen beigebracht, indem sie sie ihre eigenen Hemden auf meine Größe zurechtschneiden ließ. Und immer, wenn sie wütend darüber war, hat sie mich mit den Nadeln gestochen und gezwickt, wenn ich sie anprobierte. Sie hat das Nähen nie gemocht.« Er dachte an seine Schwester, wie er sie zuletzt gesehen hatte, schwerfällig und hochschwanger. Arme Javanne. Auch sie war gefangen, mit keiner anderen Aufgabe, als dem Hause Hastur Kinder zu gebären.
»Regis, stimmt irgend etwas nicht?«
Regis war erstaunt über Danilos besorgten Gesichtsausdruck. »Nein. Ich habe nur an meine Schwester gedacht – ob ihr Kind
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