Hasturs Erbe
Edlen saßen. Zuerst erschienen sie nur wie ein verschwommener Gesichterhaufen: ein hochgewachsener Mann, mager und wolfähnlich, mit einem dichten Busch hellen Haares, ein hübsches rothaariges Mädchen in blauem Kleid, ein kleiner Junge, ungefähr im Alter von Marius, und in ihrer Mitte ein alternder Mann mit einem dunklen, rötlichen Bart, altersschwach, doch mit geradem Rücken und scharfen Augen. Er richtete seinen Blick auf mich und studierte eindringlich mein Gesicht. Dies mußte Kermiac, Lord Aldaran sein, mein Verwandter. Er trug einfache Kleider mit schlichtem Schnitt wie die Terraner, und ich schämte mich kurz ob meines barbarisch aufwendigen Putzes.
Er stand auf und kam von dem Podest herab, um mich zu begrüßen. Seine Stimme, wenn auch durch das Alter dünner geworden, klang immer noch kräftig.
»Willkommen, Verwandter.« Er streckte die Arme aus und umarmte mich, wie es Verwandte zu tun pflegen. Seine dünnen, trockenen Lippen drückte er mir nacheinander auf beide Wangen. Dann umgriff er einen Moment lang meine Schultern mit beiden Händen. »Es wärmt mir das Herz, daß ich endlich dein Gesicht sehe, Elaines Sohn. Wir hören Neuigkeiten hier in den Hellers, selbst von den Hali’imyn .« Er benutzte das alte Wort der Berge, doch ohne Beleidigung. »Komm, du mußt müde und hungrig sein nach dieser langen Reise. Ich freue mich, daß du dich frisch genug fühltest, zu uns herunterzukommen. Komm und setz dich neben mich, Neffe.«
Er führte mich zu dem Ehrenplatz an seiner Seite. Diener brachten uns das Essen. In den Domänen serviert man dem Gast, ohne ihn zu fragen, die ausgesuchtesten Bissen, so daß er nicht aus Höflichkeit etwas Einfaches wählen kann. Hier machten sie großes Getue, ob ich Fleisch haben wollte, Wildgeflügel oder Fisch, ob ich den weißen Bergwein vorzog oder Rotwein aus dem Tal. Alles war sehr gut und wurde perfekt vorgelegt, und ich labte mich daran nach dem tagelangen Reiseproviant.
»Also, Neffe«, sagte Kermiac schließlich, als ich meinen Hunger befriedigt hatte, an einem Glas Weißwein nippte und ein paar fremdartige, köstliche Süßigkeiten dabei kaute. »Ich habe gehört, du bist ein im Turm ausgebildeter Telepath. Hier in den Bergen glaubt man, diese Turmmänner seien halbe Eunuchen, aber ich sehe, du bist ein Mann, und du wirkst wie ein Soldat. Bist du bei der Wache?«
»Ich bin seit drei Jahren Kapitän.«
Er nickte. »In den Bergen herrscht nun Friede, wenn auch die aus den Trockenstädten manchmal komische Anwandlungen bekommen. Doch ich kann einen Soldaten respektieren. In meiner Jugend mußte ich Caer Donn mit Waffengewalt verteidigen.«
Ich sagte: »In den Domänen weiß man nicht, daß Caer Donn eine so große Stadt ist.«
Er zuckte die Achseln. »Es sind hauptsächlich terranische Gebäude. Sie sind gute Nachbarn, zumindest finden wir das. Ist es in Thendara anders?«
Ich war noch nicht recht bereit, meine Gefühle über die Terraner preiszugeben, doch zu meiner Erleichterung verfolgte er dieses Thema nicht weiter. Er studierte mein Gesicht im Profil.
»Du siehst deinem Vater nicht sehr ähnlich, Neffe. Doch ich erkenne auch nichts von Elaine in dir.«
»Man sagt von meinem Bruder Marius, daß er Nase und Augen meiner Mutter trägt.«
»Ich habe ihn noch nie gesehen. Deinen Vater habe ich vor zwölf Jahren zum letzten Mal gesehen, als er Elaines Leichnam brachte, um sie hier bei ihren Verwandten zu bestatten. Ich bat ihn damals um das Privileg, ihre Söhne hier aufziehen zu dürfen, doch Kennard wollte Euch lieber in seinem eigenen Haus aufwachsen sehen.«
Das hatte ich nicht gewußt. Von den Leuten meiner Mutter hatte man mir nie etwas erzählt. Ich war nicht einmal sicher, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis ich zu dem alten Mann stand. Ich sagte dies, und er nickte.
»Kennard hat kein einfaches Leben gehabt«, meinte Kermiac. »Ich nehme es ihm nicht übel, daß er nie zurückblicken wollte. Aber wenn er dir bewußt nichts von den Verwandten deiner Mutter erzählt hat, so kann er auch nichts dagegen haben, wenn ich es dir nun auf meine Weise berichte. Vor Jahren, als die Terraner hauptsächlich in Caer Donn stationiert waren und man gerade den Boden für die prächtigen Gebäude in Thendara vorbereitete – ich habe gehört, sie wurden im letzten Winter vollendet –, vor Jahren also, als ich fast noch ein Junge war, hat sich meine Schwester Mariel entschieden, einen Terraner zu heiraten, Wade Montray. Sie wohnte viele Jahre lang mit
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