Hauch der Verfuehrung
Hände sinken, und sie drehte sich zu ihm um. »Was könnte ich dir denn noch geben?«
Sie schaute ihm ins Gesicht. Zu ihrer Überraschung war seine Miene ernst, unergründlich; in seinen Augen stand kein neckisches Funkeln.
Er erwiderte ihren Blick einen Moment stumm, dann murmelte er: »Ich werde mir etwas einfallen lassen. Aber jetzt« - er nahm sie am Arm und ging mit ihr zur Tür -»wollen wir dich erst einmal ungesehen in dein Zimmer zurückbringen.«
Gerrard begleitete sie den ganzen Weg. In der Ferne konnten sie die Geräusche des erwachenden Haushaltes hören, aber keiner von den Dienstboten hatte sich bislang in den oberen Stockwerken blicken lassen. An ihrer Tür trennten sie sich mit einem letzten leidenschaftlichen Kuss, dann ging er leise den Weg zurück.
Wie er es vermutet hatte, dachte sie nicht an Heirat. Aber egal, sie würde sich mit diesem Gedanken befassen müssen, und zwar bald. Er hatte eigentlich keine Erfahrung, Frauen in dieser Richtung zu beeinflussen, aber wie schwer konnte es schon sein, die Gedanken einer unverheirateten, dreiundzwanzig Jahre alten und wohl erzogenen jungen Dame entsprechend zu steuern?
In ihrem Zimmer streifte sich Jacqueline ihr Kleid gleich wieder ab und schlüpfte ins Bett, wo sie sofort einschlief.
Sie wachte erst viel später wieder auf. Eilig musste sie sich waschen und anziehen; dabei beschäftigten sie weniger die Ereignisse der vergangenen Nacht, sondern mehr deren Folgen.
Nachdem sie nun miteinander intim gewesen waren, wie sollte sie sich jetzt Gerrard gegenüber verhalten? Vor ihm hatte sie nicht mehr getan, als einen Mann zu küssen. Jetzt aber ...
Sie hatte keine Ahnung. Dennoch trat sie äußerlich gelassen, aber beschwingt wenige Minuten später in einem Kleid aus gemustertem Musselin in den Frühstückssalon.
Gerrard, der an seinem gewohnten Platz saß, schaute hoch und fing ihren Blick auf. Seine Miene blieb unverändert freundlich, doch der Ausdruck in seinen Augen sandte ihr wohlige Schauer über den Rücken.
Er neigte den Kopf. »Guten Morgen.«
Verstohlen räusperte sie sich. »Guten Morgen.«
Sie zwang sich, von ihm wegzusehen, nickte Barnaby grüßend zu, der mit einem unbefangenen Lächeln antwortete. Nachdem sie sich an der Anrichte am Essen bedient hatte, ging sie zum Tisch und setzte sich. Millicent goss ihr Tee ein, Mitchel reichte ihr die Tasse, Jacqueline nahm sie und nippte daran. Sie sammelte ihre Gedanken - so weit, so gut.
Millicent stürzte sich in eine Beschreibung ihres Erfolges auf dem Ball. »Ich bin immer noch nicht sicher, ob Godfrey alles, was sich daraus auch im weiteren Sinne ergibt, kapiert hat.« Sie, Gerrard und Barnaby tauschten zu dem Thema Beobachtungen aus.
»Ich habe schon alle vorgewarnt«, erklärte Millicent und legte ihre Serviette ab, »wir werden heute Nachmittag eine kleine Armee von Besuchern haben. Sie werden alle mehr erfahren wollen - es wäre gut, wenn die Herren zur Unterstützung ebenfalls anwesend sein könnten.«
»Ja, natürlich«, erwiderte Barnaby.
Gerrards Einwilligung dauerte länger. Mit einem Blick zu Jacqueline schob er seinen Stuhl nach hinten. »Wenn ich den Nachmittag im Empfangssalon verbringen soll, dann muss ich jetzt malen gehen. Ich bitte, mich zu entschuldigen.«
Millicent bedeutete ihm mit einer Geste, das zu tun. Jacqueline verspürte einen Stich des Bedauerns, lächelte aber und ließ ihn ziehen.
Wenn er den Vormittag über malen wollte ... Sie wandte sich an Millicent. »Ich müsste die Wäscheschränke durchsehen. Wenn du mich für nichts Besonderes benötigst, dann würde ich das gerne gleich erledigen.«
Ihre Tante hatte keine Einwände und verwickelte Barnaby in ein Gespräch über gemeinsame Bekannte in Bath.
Mitchel Cunningham erhob sich, als sie aufstand, und begleitete sie zur Tür. »Wenn ich recht verstanden habe«, sagte er, »war es letzte Nacht nett, oder?«
Mitchel nahm selbst gelegentlich an gesellschaftlichen Anlässen wie diesem teil, aber gestern Abend nicht. Lächelnd antwortete sie: »Es war besser, als ich erwartet hatte.«
Er zögerte, dann fragte er: »Und die Entwhistles waren auch zugegen?«
»Ja.« Sie schaute ihm ins Gesicht. »Es war eine Erleichterung, mit ihnen sprechen zu können. Sie sind ebenso entschlossen wie wir, Thomas’ Mörder zu finden.«
Mitchel musterte sie; er wirkte verblüfft, sagte aber nur: »Verstehe.«
Mit leicht gerunzelter Stirn verneigte er sich, und sie trennten sich.
Sie fragte sich - zum allerersten
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