Hauch der Verfuehrung
Mal überhaupt - wie Mitchel eigentlich über sie dachte, während sie sich zu Mrs. Carpenters Zimmer begab.
Nachdem sie sich mit der Haushälterin kurz abgesprochen hatte, ließ sie die zuständigen Dienstmädchen kommen und machte sich an die wenig aufregende Arbeit, den Zustand von Laken und Handtüchern zu überprüfen. Nachdem das erledigt war, dehnte sie die Durchsicht auch noch auf die Tischwäsche aus.
Sie besah sich gerade mit kritischem Blick ein Leinentischtuch, als die Uhr zwölf schlug und ihr mit einiger Verwunderung auffiel, dass Eleanor gar nicht zu ihrem gewohnten Spaziergang durch die Gärten gekommen war. Sie konnte sich an keinen Ball erinnern, an dem sie je teilgenommen hatte, nach dem Eleanor nicht am nächsten Vormittag zu Besuch erschienen wäre, um die Höhepunkte der vergangenen Nacht - meist mit reichlich zweideutigen Kommentaren durchsetzt - durchzusprechen.
Jacqueline dankte im Stillen dem Himmel - ihre Erleichterung war nicht zu verhehlen. Sie hatte keine Lust, sich eine Tirade gegen Gerrard anzuhören, weil er Eleanors Annäherungsversuche so brüsk abgewiesen hatte. Und während sie sich insgeheim darin sonnte, dass es stattdessen ihr gelungen war, sein Interesse zu erregen, sah sie keinen Grund, weshalb Eleanor überhaupt erfahren sollte, dass Jacqueline dort Erfolg hatte, wo sie selbst versagt hatte.
Das wäre nicht nett. Es kam ihr auch nicht klug vor, denn Eleanor konnte durchaus rachsüchtig sein, wenn man ihr in die Quere kam. Obwohl sie bislang nicht Opfer von Eleanors Zorn geworden war, war sie doch froh, dass ihre Freundschaft nicht auf diese besondere Probe gestellt wurde.
Der Lunch kam und verging, ohne dass Gerrard sich blicken ließ.
Wie Millicent es vorhergesagt hatte, stellten sich die Besucherscharen ein, sobald es drei geschlagen hatte. Sie füllten den Empfangssalon und drängten bis auf die Terrasse.
Barnaby war kurz vor dem ersten Ansturm zu ihnen gestoßen, um wie versprochen zu helfen. Er schaute über die Menge und blieb neben Jacqueline stehen. »Ich werde Gerrard holen gehen. Ich denke, er malt gerade - und das heißt, dass er jegliches Zeitgefühl verloren hat.«
Seit der letzten Nacht fühlte sie sich wesentlich sicherer, ihre Rolle zu spielen, Sie zögerte, wollte Gerrard zwar gerne an ihrer Seite wissen, ihn aber keineswegs bei seiner Arbeit stören. »Wenn er so in seine Arbeit vertieft ist« - sie schaute Barnaby an -, »sollten wir ihn vielleicht in Ruhe weitermachen lassen. Ich schaffe es bestimmt auch so - und Sie sind ja ebenfalls da.«
Barnaby sah ihr in die Augen und lächelte. »Ich bezweifle, dass Gerrard einverstanden wäre. Vor die Wahl gestellt, in dieser Situation an Ihrer Seite zu sein oder ungestört an Ihrem Porträt auf dem Dachboden zu malen, legt er - so glaube ich wenigstens - die Pinsel ohne einen weiteren Gedanken zur Seite.« Sein Lächeln wurde breiter. »Ich laufe rasch nach oben und erinnere ihn - er reißt mir sonst den Kopf ab, wenn ich das nicht tue, von allem andern ganz zu schweigen.«
Jacqueline blickte ihm nach, wie er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Mit zusammengekniffenen Augen überlegte sie, wie viel er erraten hatte.
Und fragte sich, ob er wohl recht hatte - schließlich kannte er Gerrard sehr gut.
»Wohin geht Mr. Adair?«
Jacqueline drehte sich zu Eleanor um. Sie war mit ihrer Mutter gekommen, eingeschnappt und schmollend, vermutlich wegen Gerrard, der natürlich nicht anwesend war, um sich angesichts ihrer schlechten Stimmung zu winden. »Er ist jeden Moment wieder da - er holt nur Mr. Debbington aus dem Atelier.«
Eleanor betrachtete die Tür, durch die Barnaby verschwunden war, und neigte den Kopf zur Seite. »Malt Mr. Debbington bereits an dem Porträt?«
»Ja, er hat damit begonnen.«
»Hast du es schon gesehen?« Eleanor wandte sich um und sah sie eindringlich an.
»Nein - er zeigt seine Arbeit erst, wenn sie fertiggestellt ist - weder der Auftraggeber noch das Modell dürfen einen Blick darauf werfen.«
»Wie ... überheblich.« Eleanors Augen wurden schmal. Sie blickte wieder zur Tür. »Er hat sich gestern Nacht rundheraus geweigert, mit mir in den Gärten zu schäkern - er war sehr brüsk. In der Tat, ich beginne, mich langsam über Mr. Debbington zu wundern - ob er vielleicht nicht ganz richtig ist.«
»Ach ja?« Jacqueline hörte selbst den betroffenen Ton in ihrer Stimme; sie versuchte, ihn durch schlichte Neugier zu kaschieren. »Richtig in welcher Hinsicht?«
»Nun, du
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