Hauch der Verfuehrung
weißt doch, was man sich über Künstler erzählt.« Eleanor senkte die Stimme. »Vielleicht gehört er zu denen, die sich lieber mit Jungs abgeben als mit Frauen.«
Jacqueline war sehr dankbar, dass Eleanor immer noch zur Tür schaute, sodass ihr ihre entgeisterte Miene entging. Sie wollte schon berichtigend eingreifen, besann sich aber gerade noch rechtzeitig. »Oh ... aber doch sicher nicht.«
Wie konnte sie Gerrard angesichts dieses Vorwurfs verteidigen - wie wollte sie sagen, woher sie das wusste?
Ein weiterer Gedanke kam ihr. Nahmen so Gerüchte ihren Anfang, schädigende Flüsterpropaganda, die jeder Grundlage entbehrten? Einfach nur eine einzige gehässige Bemerkung, und schon ...
Sie blickte sich um, vergewisserte sich, dass niemand nah genug stand, um etwas von dem Gespräch zu hören.
Lady Tannahay fing ihren Blick auf und winkte sie zu sich.
»Komm.« Jacqueline hakte sich bei Eleanor unter, entschlossen, sie abzulenken. »Lady Tannahay möchte mit uns reden.«
Erbarmungslos zog sie Eleanor mit sich, weg von anderen, weniger gut informierten Ohren.
Durch das offene Atelierfenster hörte Gerrard das Geplauder vieler Stimmen, das von der Terrasse zu ihm drang. Er schaute auf die kleine Uhr, die Compton auf das verkratzte Kaminsims gestellt hatte, seufzte und legte seine Pinsel beiseite, dann machte er sich auf den Weg nach unten, um sich umzukleiden.
Er befand sich gerade auf dem Flur zur Galerie, als Barnaby ihm entgegenkam. »Wie läuft es?«, erkundigte er sich.
»Interessant.« Barnaby blieb stehen, wartete, bis er bei ihm angekommen war. »Sie wollen alle unbedingt mehr hören. Von der vorherrschenden Meinung her denke ich, sind wir auf bestem Wege; niemand verdächtigt Jacqueline mehr, etwas mit Thomas’ Tod zu tun zu haben.«
Barnaby drehte sich um und ging neben ihm, sprach dabei weiter: »Was den Tod ihrer Mutter angeht, so fragen sich in der Tat einige der Damen bereits, ob auch das eine Schlussfolgerung ist, die überdacht werden sollte.«
Gerrard blickte ihn an. »Hat jemand von ihnen das Thema angeschnitten?«
»Nein. Es ist eher so, dass ihnen plötzlich einfällt, es könnte schließlich auch anders gewesen sein. Allerdings hat noch niemand offen die verbreitete Meinung in Frage gestellt.«
Gerrard sah nach vorne. »Also brauchen wir das Porträt immer noch.«
»Zweifelsohne. Das Porträt wird ihnen genau den richtigen Anlass bieten, ihre Fragen laut auszusprechen.« Sie erreichten die Treppe und stiegen sie rasch hinab. »Und das ist genau der Ansatzpunkt, den wir brauchen.«
Nach der letzten Stufe war auf ihren Gesichtern nichts mehr von der erbitterten Entschlossenheit zu sehen; sie zeigten vielmehr ihre liebenswerte Höflichkeit, mit der sie sonst stets die Londoner Gesellschaft für sich gewannen. Mit selbstsicherer Ungezwungenheit schlenderten sie in den Salon, dann trennten sie sich.
Gerrard sah Jacqueline mit Lady Tannahay reden, Eleanor stand neben ihr. Beide kehrten ihm den Rücken zu, keine der beiden hatte ihn bemerkt. Da er Jacqueline für den Augenblick in Sicherheit wähnte, nahm er sich die Zeit, mit mehreren anderen Damen zu sprechen, die nur darauf warteten. Er antwortete höflich auf Fragen nach seiner Familie, nach seinem Aufenthalt in der Gegend; aber vor allem interessierten sie sich dafür, was er über Thomas Entwhistles Tod wusste.
Barnaby war auf der anderen Seite des Raumes ähnlich beschäftigt. Auf dem Sofa in der Zimmermitte hielt Millicent Hof. Alle hier Versammelten - die eingeschlossen, die auf die Terrasse gegangen waren, um die Aussicht zu bewundern und auf die Zypressen im Garten des Hades zu starren - verströmten eine völlig andere Stimmung als neulich, ehe sie Lady Trewarrens Ballsaal betreten hatten. Vielen waren die Augen geöffnet worden, sie hatten ihre Ansichten geändert. Barnaby hatte recht; hinsichtlich Thomas’ Tod hatten sie erfolgreich den Verdacht von Jacqueline abgewendet.
Gerrard lächelte erfreut; zufrieden und erleichtert schritt er durch den Raum, um sich zu Jacqueline zu gesellen.
Sie schaute auf, als er neben ihr stehen blieb, und lächelte. Ein warmer Funke glomm in ihren Augen auf, ihre Lippen wurden weich. »Hallo.«
Er erwiderte ihren Blick, nickte ihr zu.
Ein Herzschlag verstrich, dann blinzelte sie, fasste sich und sah wieder nach vorne. »Lady Tannahay hat sich nach dir erkundigt - nach dem Porträt.«
»Genau.« Lächelnd und mit blitzenden Augen reichte ihm Lady Tannahay ihre Hand.
Gerrard nahm sie
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