Hauch der Verfuehrung
dürfte nicht allzu schwierig werden.
18
Eine der Hauptattraktionen einer Reise nach London war die Gelegenheit, die besten Modistinnen zu besuchen. Zusammen mit Millicent hatte Jacqueline diesen Umstand nach Kräften ausgenutzt. Als sie an diesem Abend an Gerrards Arm Lady Sommervilles Treppe erklomm, fühlte sie sich wunderschön in einem Kleid aus heller, bernsteinfarbener Seide, besetzt mit zarter Spitze in einem dunklen Bronzeton.
Sie hatte das neue Abendkleid angezogen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken; sie hoffte außerdem, das Gewand würde es ihr erleichtern, die Aufmerksamkeit anderer Herren auf sich zu ziehen.
Während der Abendunterhaltungen blieb Gerrard stets an ihrer Seite, meist um sicherzustellen, dass sie keine Probleme bekam und er sie entführen konnte, sobald die Uhr zehn schlug. Sie war sein Modell, somit war es nur verständlich, dass er sie in der richtigen Stimmung haben wollte, um für ihn zu sitzen. Sonst steckte nichts hinter seinem ständigen Aufenthalt in ihrer Nähe. Sie waren Liebhaber und Geliebte, ja, und er war dabei auch durchaus besitzergreifend, aber allgemein in Gesellschaft konnte sie keinen Grund erkennen, weshalb das so sein sollte.
Es sei denn, er dachte daran, sie zu heiraten, was aber nun nicht der Fall war. Und genau das wollte sie beweisen.
Nach der Begrüßung durch Lord und Lady Sommerville betraten sie und Gerrard den Ballsaal. Es war kein großer Saal, und es war auch keine große Gesellschaft, so hatte man ihr gesagt. Doch zu ihrer Befriedigung bemerkte sie mehrere dunkle Röcke über breiten Schultern zwischen den leuchtend bunten Seidenstoffen.
Gerrard führte sie hinter Millicent her. Schließlich blieben sie an dem Sofa stehen, auf dem Lady Horatia Cynster saß. Nachdem sie Artigkeiten ausgetauscht hatten, nahm Millicent neben ihr Platz. Jacqueline stellte sich mit Gerrard seitlich vom Sofa hin.
Ihrem Plan getreu schaute sie sich unter den Gästen um.
Gerrard nutzte den Moment, um sie nicht unbedingt billigend zu betrachten. Wo zum Teufel hatte sie das Kleid her? Die Seide schmiegte sich um ihre Figur, haftete an ihrem Busen, betonte jede weibliche Rundung - die reinste Herausforderung. Und der Stoff lenkte den Blick bei jedem Schritt auf ihre langen Beine, die ihn stets faszinierten. Schlimmer noch, immer, wenn sie sich bewegte, schimmerte das Licht auf dem Stoff, sodass man einfach hinschauen musste.
Seine inneren Alarmglocken schrillten. Er sah sich um und fluchte leise. Es war Sommer. Es herrschte kein unerträgliches Gedränge, die Gästeschar war zahlenmäßig geringer und ausgesuchter - und etwas völlig anderes als Gesellschaften während der Saison. So waren auch nur ein paar junge Dinger da; die meisten befanden sich auf dem Land bei irgendwelchen Hausgesellschaften, wo sie einen Ehemann zu finden hofften. Und im Gegenzug waren die jüngeren Herren von ihren liebenden Müttern aufs Land geschleppt worden, um entweder bei ihren Schwestern den Anstandswauwau zu mimen oder um sich selbst unter den Kandidatinnen auf eben diesen Hausgesellschaften umzusehen.
Die große Mehrheit der im Sommer in der Stadt Gebliebenen, einschließlich der Gäste, die durch Lady Sommervilles Ballsaal schlenderten, war nicht daran interessiert, sich einen Ehepartner zu suchen. Sie waren allerdings eindeutig an Vertretern des anderen Geschlechts interessiert.
Zu viele der Herren hatten Jacqueline bereits bemerkt.
Gerrard benutzte den Ausdruck »Herren« hier sehr allgemein; viele der anwesenden Männer waren Salonlöwen. Er kannte sie wohl; zu den seltenen Gelegenheiten, da er sich hatte überreden lassen, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, wurde er gewöhnlich zu ihnen gezählt.
Fast bestürzt stellte er fest, dass er am liebsten geknurrt und die Zähne gefletscht hätte wie ein wütendes Tier, als er sah, wie einer der männlichen Gäste Jacqueline abschätzend musterte. Das hier war auf jeden Fall das letzte Mal, dass sie dieses Kleid in aller Öffentlichkeit trug, wenigstens bis sie verheiratet waren und vielleicht noch nicht einmal dann.
Der interessierte Herr bemerkte seinen finsteren Blick; sie sahen sich einen Moment an, dann verzogen sich die Lippen des anderen; er neigte kaum merklich den Kopf und ging weiter.
Das war auch nur gut so.
Gerrard schaute zu Jacqueline, dann zückte er unauffällig seine Taschenuhr. Es war erst neun; vor ihm lag noch eine Stunde, die er aushalten musste, ehe er sie mit einer gewissen Rechtfertigung hier wegbringen
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