Hauch der Verfuehrung
außerdem hatte es geregnet.«
»Millicent mag die Gärten nicht sonderlich, wissen Sie.« Sir Godfrey nickte. »Sie muss etwas gehört oder gesehen haben.«
Plötzlich richtete Barnaby sich auf; sein Blick war nachdenklich. »Läuten Sie nach Treadle.«
Gerrard übernahm das; als der Butler erschien, stellte ihm Barnaby eine Frage.
»Allerdings, Sir«, antwortete der. »Lady Tregonning ging oft in der Nacht auf der Terrasse spazieren. Sie hatte Probleme mit dem Einschlafen.«
»Wie die ältere Miss Tregonning auch?«
Treadle verneigte sich. »Ihre Gewohnheiten waren im Untergeschoss wohlbekannt, Sir - und natürlich bemerke ich immer, wenn die Terrassentür nachts geöffnet wurde, nachdem ich sie abgesperrt hatte.«
Barnaby betrachtete ihn. »Sie erinnern sich nicht vielleicht zufällig, ob die Tür in der Nacht vor Lady Tregonnings Tod geöffnet wurde?«
»Doch, zufälligerweise weiß ich das noch genau. Ich weiß noch sehr gut, dass ich mir dachte, als sie am nächsten Morgen so verhärmt am Frühstückstisch erschien - am Morgen des Tages, an dem sie verstarb -, dass die arme Lady trotz ihres Spaziergangs draußen die ganze Nacht über kein Auge zubekommen haben musste. Sie hatte jedenfalls nicht geschlafen, und die Terrassentür war geöffnet worden.«
Barnaby dankte Treadle. Dann verneigte er sich und zog sich zurück.
Sir Godfrey schaute zu Barnaby, und auf seiner Miene spiegelte sich sein Entsetzen, als es ihm dämmerte, was das hieß. »Sie denken, Miribelle hat auch etwas gehört?«
Mit zusammengepressten Lippen nickte Barnaby. »Ich denke, sie hat etwas gehört oder gesehen, ist aber zurück ins Haus gegangen ... Was auch immer es war, sie wusste, was es zu bedeuten hatte, dachte aber, derjenige - der Mörder, davon können wir wohl ausgehen - habe sie nicht bemerkt.«
»Aber das hatte er doch«, sagte Gerrard.
»Möglich. Jedenfalls wusste derjenige, dass man ihn beobachtet hatte - später an dem Tag, vermutlich wegen irgendetwas, das Miribelle gesagt oder getan hat, oder vielleicht auch nur, weil sie so verhärmt aussah, hat er erraten, dass sie es gewesen sein musste.« Barnaby lehnte sich zurück. »Daher hat er sie umgebracht.«
»Was wiederum eines bedeutet«, erklärte Gerrard: »Was auch immer Miribelle damals und jetzt vermutlich Millicent gesehen haben, ist gefährlich, sogar sehr gefährlich für den Mörder.«
Barnaby nickte. »So gefährlich, dass er ohne Skrupel getötet hat, damit sie es nicht verraten können.«
»Warum hat Miribelle nicht einfach jemandem davon gesagt?«, fragte Sir Godfrey. »Wenn sie das, was sie beobachtet hatte, so aus der Fassung gebracht hat, wie es den Anschein hat, warum hat sie es dann niemandem erzählt?«
Nach einem Moment gestand Barnaby: »Das weiß ich nicht. Es wird sicher einen Grund geben, aber bis wir nicht wirklich wissen, was beide gesehen haben, können wir es nur raten.«
»Ja schon«, beharrte Gerrard, »alles hängt also davon ab, was sie gesehen haben. Das ist der kritische Punkt. Was kann es gewesen sein?«
»Wer könnte es gewesen sein?«, warf Sir Godfrey ein. »Wer, zum Teufel, schleicht nächtens durch die Gärten?«
Gerrard wusste es. »Eleanor Fritham zu Beispiel.« Er schaute Sir Godfrey an. »In meinem Schlafzimmer steht ein Teleskop - ich habe sie mehrmals nachts gesehen, zusammen mit einem Gentleman, den ich allerdings nicht erkennen konnte.« Gerrard machte eine winzige Pause, als das Bild vor seinem geistigen Auge erschien. »Außerdem gibt es eine Liebeslaube im Garten der Nacht, gut versteckt - und sie wird von jemandem benutzt.«
Sir Godfrey zog die Brauen hoch. »Ach ja?« Dann aber runzelte er die Stirn; nach einem Moment erklärte er: »Weder Miribelle noch Millicent würden hysterisch reagieren, wenn sie zufällig ein Liebespaar im Garten entdeckten -das allein kann es also nicht sein. Allerdings« - sein Tonfall wurde unnachgiebig, er schaute zu Gerrard und Barnaby -»schlage ich vor, wir fragen Miss Fritham, wen sie nachts im Garten trifft; dann wissen wir, ob sie oder ihr Liebhaber Licht auf die Sache werfen können, was Millicent gesehen haben könnte.«
Auf Barnabys Vorschlag hin sandte Sir Godfrey eine Nachricht nach Tresdale Manor, in der er um Eleanors Besuch auf Hellebore Hall bat. Sie traf eine Stunde später ein, in Begleitung von Lady Fritham, die ihr voran in den Empfangssalon trat.
»Ich weiß beim besten Willen nicht, weshalb Sie Eleanor hier brauchen, Godfrey, aber natürlich habe ich sie
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