Hauch der Verfuehrung
ganzen Vorfall zunächst Stillschweigen bewahren würden. Zumindest, bis wir mehr wissen.«
Der Arzt zögerte, dann nickte er. Sein Blick blieb kurz an Jacqueline hängen, ehe er sich verneigte und ging.
Barnaby starrte ihm nach - beinahe mit offenem Mund. Sobald sich die Tür geschlossen hatte, erklärte er: »Das darf doch einfach nicht wahr sein.«
Gerrard zwang sich, seine Hände zu lockern, die er zu Fäusten geballt hatte. »Ist es aber.« Sein Knurren klang wild. »Aber dieses Mal muss etwas geschehen.«
Er wandte sich an Jacqueline; der leere Ausdruck in ihren Augen gefiel ihm nicht. »Wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt, wird Millicent uns sagen können, wer sie über die Brüstung der Terrasse gestoßen hat. Aber unterdessen können wir nicht einfach dasitzen, Däumchen drehen und abwarten.« Er schaute zu Lord Tregonning. »Der Mörder meint sicher, Millicent sei tot. Wenn er erfährt, dass das nicht der Fall ist, dass sie nur bewusstlos ist, wird er verzweifelt versuchen, sie zum Schweigen zu bringen. Wir müssen sie bewachen.«
Lord Tregonnings Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er ließ Treadle von Barnaby rufen, dann beratschlagten sie sich rasch. Lakaien würden vor Millicents Zimmer Tag und Nacht Wache halten. Barnaby schlug vor - und alle waren sich einig -, dass es am besten wäre, wenn alle so tun wür-den, als sei nichts geschehen. Treadle versicherte ihnen, dass auf die Verschwiegenheit der Dienerschaft Verlass sei. Danach ging er, um sich persönlich um alles zu kümmern.
»Das wird den Schurken auf jeden Fall verwirren, und das Porträt reicht als Köder aus.« Barnaby sah Gerrard an.
Der nickte. »Allerdings. Aber nichtsdestotrotz müssen wir uns einen Überblick verschaffen, was genau geschehen ist.«
Barnaby erwiderte Gerrards Blick, dann wandte er sich an Lord Tregonning. »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, würde ich gerne die Diener befragen, ehe Sir Godfrey eintrifft.«
Lord Tregonning nickte. Mit vorgeschobenem Kinn schaute er Jacqueline an. Dann sagte er: »Welche Erlaubnis auch immer Sie benötigen, betrachten Sie sie als gegeben.« Er setzte sich neben seine Tochter, nahm unbeholfen ihre Hand und tätschelte sie. »Meine Liebe, meinst du, wir sollten nach oben gehen und uns zu Millicent setzen? Wenn sie aufwacht, würde es ihr sicher guttun, uns zu sehen.«
Zu Gerrards Erleichterung blickte Jacqueline ihrem Vater ins Gesicht und nickte. Beide standen auf. Er brachte sie bis zu Millicents Tür, überzeugte sich, dass alles im Zimmer in Ordnung war, und kehrte dann zu Barnaby zurück, der immer noch mit finsterer Miene und gerunzelter Stirn im Salon stand.
Er schaute auf, als Gerrard die Tür schloss. »Wir werden nicht zulassen, dass dieser Zwischenfall verschleiert wird, weil bestimmte Leute andere zu schützen versuchen.«
»Genau meine Meinung. Was schlägst du vor?«
»Dass wir die Führung übernehmen. Wir sammeln alle Fakten, dann präsentieren wir sie Sir Godfrey, damit wir eine Chance haben, dass er der Logik folgt.«
Gerrard nickte. »Wo fangen wir an?«
Barnaby zog eine Braue hoch. »Wir müssen feststellen, wann Millicent nach draußen gegangen ist, und wenn wir können, auch warum. Dann kümmern wir uns darum, wie wir beweisen können, dass Jacqueline unschuldig ist - falls das notwendig werden sollte -, indem wir belegen, dass sie zu der Zeit anderswo war.«
Gerrard schaute seinem Freund fest in die Augen. »Sie war die ganze Nacht bei mir.«
Barnaby grinste. »Ich weiß. Ich habe sie heute Morgen getroffen, als sie aus deinem Zimmer kam. Ich habe die Tür gehen hören und dachte, du seiest es, daher trat ich auf den Flur ... Aber es war sie. Und sie muss auch von anderen gesehen worden sein. Also - wann ist sie zu dir gekommen?«
»Etwa um halb zwölf.«
»Gut - dann haben wir das schon einmal festgestellt. Jetzt lass uns sehen, was uns die Zofe erzählen kann.«
Entsetzt und zunehmend wütend, weil man ihrer Herrin das angetan hatte, war Gemma nur zu gerne bereit, ihnen alles zu sagen, was sie wusste. »Sie ist immer sehr unruhig, wenn sie sich fürs Bett fertig macht - hier noch eine Creme, dort eine Lotion, und jede Nacht muss ich ihr Haar auf Stoff zu Locken aufwickeln. Erst nach Mitternacht habe ich ihr Zimmer verlassen. Sie war besonders rastlos - aber das sind ältere Damen ja manchmal, wissen Sie. Sie kommen nicht leicht zur Ruhe, daher laufen sie herum oder gehen kurz spazieren. Mir war klar, dass sie noch nach draußen auf die Terrasse gehen
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