Hauch der Verfuehrung
den armen Thomas handelt. Wir haben ja immer schon dunkle Machenschaften vermutet, schon Vorjahren, als er verschwand. Daher ist es nun zwar einerseits beängstigend, unwiderlegbare Beweise zu finden, aber andererseits wirft es einen auch nicht um. Es steht ja schließlich nicht zu befürchten, dass jemand von der Dienerschaft oder aus dem Haushalt des Verbrechens verdächtigt werden könnte.«
Lady Fritham blinzelte verwundert. »Sie sind nicht ... nein, natürlich nicht.«
Millicent tätschelte ihr die Hand. »Ich habe es gestern schon erklärt - vielleicht hast du es ja noch nicht gehört, aber es war sofort klar, dass der arme Thomas auf dem nördlichen Felsvorsprung von einem Mann niedergeschlagen wurde. Allem Anschein nach könnte es jeder gewesen sein - jeder Mann, den Thomas kannte. Das ist alles, was wir wissen.«
Millicent drehte sich zu Gerrard und Barnaby um, die hinter Jacqueline eingetreten waren. »Mr. Adair und Mr. Debbington wissen darüber viel besser Bescheid als ich -sie werden sicher gerne genauere Erläuterungen abgeben.«
Wie sie es sich auf der Fahrt nach Tresdale Manor zurechtgelegt hatten, übernahm es Barnaby, die Neugier der Matronen zu befriedigen, die um Lady Fritham herum Platz genommen hatten, während Millicent durch den Raum schlenderte, um die Neuigkeit zu verbreiten. Nach den Begrüßungen führte Gerrard Jacqueline zu der Gruppe mit den jüngeren Gästen.
Ihre Hand lag auf seinem Ärmel, sie hielt den Kopf gerade, aufrecht und lächelte unbekümmert, dennoch spürte er ihre innere Anspannung. Dies war ihr erstes öffentliches Auftreten seit dem Fund von Thomas’ Leiche. Es war wichtig, dass sie den richtigen Ton anschlug.
Sie hätten kurz besprochen, wie sie sich verhalten sollte, dass sie sich auf keinen Fall in sich, hinter ihren Schutzschild zurückziehen durfte, wenn jemand Thomas’ Tod oder den ihrer Mutter ansprach. Von allen, die sie von früher als offenherzig kannten, würde diese Veränderung schnell als Anzeichen eines schlechten Gewissens missverstanden werden - ja, es war bereits so gekommen.
Drei breite doppelflügelige Glastüren standen offen, sodass man auf die Terrasse und in den Garten gelangen konnte. Die jüngeren Leute hatten sich davor in losen Grüppchen zusammengefunden. Gerrard geleitete Jacqueline zu der nächsten und sagte leise: »Sei einfach du selbst - mehr ist gar nicht nötig.«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu, dann schaute sie wieder nach vorne, lächelte und begrüßte Mary Hancock.
Mit großen Augen erwiderte Mary ihre Begrüßung. »Es muss doch ein entsetzlicher Schreck gewesen sein, als du erfahren hast, dass die gefundene Leiche Thomas ist.«
Jacqueline tat so, als prüfte sie ihre Gefühle, dann antwortete sie gelassen: »Ich denke, ich war mehr traurig als erschreckt. Wir hatten ja immer schon vermutet, dass ihm etwas zugestoßen sein musste, aber ich hatte nie die Hoffnung aufgegeben, dass es eine andere Erklärung für sein Verschwinden geben könnte.« Sie atmete ein und seufzte. »Allerdings ist das ja nun nicht der Fall, sodass uns nur noch die Hoffnung bleibt, möglichst schnell den Mann zu finden, der ihn ermordet hat, und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen.«
Aufrichtigkeit klang aus ihrer Stimme. Mary nickte, sichtlich erschüttert, so wie es Roger Myles auch schien.
Andere waren nicht so leicht zu überzeugen. Gegenüber von ihr wurden Cecily Hancocks Lippen erst schmal, dann kräuselten sie sich verächtlich. Gerrard merkte, gleich würde sie eine hässliche Bemerkung fallen lassen - sie lag ihr schon auf der Zunge. Sie öffnete den Mund ... und fing seinen Blick auf.
Nach einem Moment schluckte sie ihre Bemerkung hinunter und schnaubte nur abfällig.
Zufrieden wandte er sich den genaueren Fragen der anderen zu, auf die - ihrer Abmachung entsprechend - Jacqueline mit angemessener mädchenhafter Zurückhaltung nicht antworten würde.
Gemeinsam gelang es ihnen so, den bis dahin unangefochtenen, wenn auch noch unausgesprochenen Verdacht um Thomas’ Tod in Zweifel zu ziehen.
Nach diesem ersten erfolgreichen Versuch entspannte sich Jacqueline. Nachdem sie mit der zweiten Gruppe vor den Glastüren gesprochen und ihre Aufgabe erledigt hatte, fühlte sie sich sichtlich wohler und war ganz sie selbst. Ihre inneren Schutzschilde waren immer noch da, aber nicht mehr so deutlich merkbar, weniger offensichtlich.
Er hatte geglaubt, er habe sich seine Zufriedenheit darüber nicht anmerken lassen, doch als sie zu
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