Hauch der Verfuehrung
Tregonning vollendet ist, es in der Tat ernsthafte Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte wecken wird. Da sie offensichtlich ihre Mutter nicht getötet hat und auch sonst niemanden, wird sich natürlich die Frage stellen: Wer war es dann?«
Lord Tregonnings Aufmerksamkeit gehörte ganz ihm. Jede Befürchtung, dass sie vielleicht nicht in der Lage wären, ihn umzustimmen, dass er darauf bestehen könnte, nichts damit zu tun haben zu wollen, und sich weigern könnte, sich an ihrem Plan zu beteiligen, löste sich in Wohlgefallen auf. Gerrard spürte die schmerzliche Intensität seines Blickes und fühlte einen Moment lang die Qual des äußerlich ruhigen Mannes - und war beschämt.
»Du bist dir sicher ...« Lord Tregonning blickte zu Jacqueline. »Verzeih mir, mein Liebes, aber ...«Er sah wieder zu Gerrard, seinen düsteren Blick fest auf sein Gesicht gerichtet. »Sie sind sich ohne jeden Zweifel sicher, dass sie nichts damit zu tun hat?«
Gerrard nickte. »Allerdings weiß ich, dass die Meinung eines Künstlers nicht unbedingt als hieb- und stichfester Beweis akzeptiert wird, auch wenn ich Ihnen versprechen kann, dass das Gemälde die gesamte Gesellschaft von Jacquelines Unschuld überzeugen wird. Aber in diesem Fall gibt es noch zahllose Fakten, Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die belegen, dass Ihre Tochter weder etwas mit dem Tod von Thomas Entwhistle noch mit dem Ihrer Gattin zu tun haben kann.«
Gerrard schaute Barnaby auffordernd an, reichte ihm den Stab in der sorgfältig durchdachten Argumentationskette weiter.
Barnaby übernahm und schilderte alle Beweise, die er gesammelt hatte; sie zeigten, dass es einer Frau körperlich unmöglich war, den Mord an Thomas Entwhistle zu begehen. Dann umriss er noch kurz, weshalb Jacqueline auch als Verdächtige im Todesfall ihrer Mutter ausschied.
»Zusätzlich besagen die Gerüchte, dass sie ihre Mutter in einem Wutanfall getötet haben soll; aber darauf gibt es keinen Hinweis, und zwar weder von den Dienstboten, die meist über dergleichen bestens unterrichtet sind, noch von Freunden, die sie fast ihr ganzes Leben lang kennen; Jacqueline neigt nicht zu solchen Zornesausbrüchen.« Er schaute zu Jacqueline und lächelte leise. »Noch nicht einmal zu milden Verstimmungen.«
Er wandte sich wieder an Lord Tregonning und fasste zusammen: »Kurz gesagt: Der Klatsch um Ihre Tochter entbehrt jeglicher Grundlage; die Gerüchte sind schlichtweg erlogen. Sie halten keiner näheren Untersuchung stand, doch der Mörder - wenn wir einmal, wie ich meine, davon ausgehen, dass er dahintersteckt - war überaus gerissen. Er hat Jacquelines Ansehen oder besser den Umstand, dass sie allseits beliebt ist, ausgenutzt. Indem er die Möglichkeit andeutete, dass sie die Tat begangen hat, verhinderte er, dass alle - Sie selbst eingeschlossen - der Frage weiter nachgegangen sind, wer der Mörder war.«
Barnaby machte eine Pause, dann erklärte er ruhig: »Ich habe keinen Zweifel, dass ein Mann Thomas Entwhistle umgebracht hat und dass derselbe Mann auch Ihre Frau getötet hat. Seine Identität bleibt ein Rätsel, aber die jüngsten Gerüchte - die nach dem Fund von Thomas’ Leiche aufkamen - zeigen mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass er noch hier ist, in der Nachbarschaft. Er ist nicht weggezogen.«
Lord Tregonning holte tief Luft. Langsam legte er die Hände auf den Schreibtisch. »Warum haben Sie sich ausgerechnet den heutigen Abend dafür ausgesucht, um mir das alles zu sagen?«
Die Blicke aller ruhten nun auf Gerrard.
»Wegen dieser jüngsten Gerüchte. Es war unsere Absicht, den Plan fortzuführen, den Sie angestoßen hatten: das Porträt zu malen und es dann dazu einzusetzen, den Leuten die Augen zu öffnen. Hinsichtlich des Todes Ihrer Frau ist diese Vorgehensweise weiterhin sinnvoll. Doch nachdem Thomas’ Leiche entdeckt wurde, hat der Mörder die Gelegenheit ergriffen, den Verdacht auf diesen Mordfall auszuweiten. Wenn wir warten, wird sich das Netz aus Lügen immer enger um Jacqueline schlingen und unkontrollierbar ausbreiten. Das wird unsere Stellung schwächen, vielleicht sogar so weit, dass - wenn das Porträt fertig ist und selbst wenn es ihre Unschuld klar zeigt - dies nicht mehr ausreicht, um den Verdacht zu entkräften und der Flut Einhalt zu gebieten, die der Mörder bis dahin in Gang gebracht hat.«
Lange sagte Lord Tregonning nichts, dann wandte er sich an Jacqueline. »Mein Liebes, ich muss dich aus tiefstem Herzen um Verzeihung bitten. Warum ich
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