Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
aus Dingsda« im Foyer der Komischen Oper angesprochen hat:
»Ach … nein … Also, ich … nein … oder? Doch doch. Nein, oder? Aber die … Also einen Augenblick … Oder nicht? Doch! Also einen … also einen Augenblick war ich mir jetzt nicht sicher, aber jetzt … also jetzt … aber jetzt, wo ich Sie hier so stehen sehe, Sie so, mit Ihren Armen und so. Sie sind doch der … Sind Sie, nicht? Na, Sie sind doch der … Na, Sie sind doch der mit dem Backblog. Na, der mit dem Backblog! Also der, der so backt und so bloggt und auch schreibt und so. Aber ich kenn Sie ja nur von Ihrem Backblog. Also so gar nicht vom Schreiben leider. Nur so vom Backen, also von dem Foto eigentlich. Also dem kleinen. Also, einen Augenblick war ich mir jetzt wirklich überhaupt nicht sicher, aber jetzt, also jetzt, und die Ohren, ja! Das sind doch Sie. Also das ist mir … also das ist mir jetzt ja fast schon ein bisschen unangenehm. Also, auf jeden Fall, wirklich ganz, ganz toll das Ganze. Also wirklich! Also jetzt wirklich, wirklich! Das Design und die Bilder und dass man jedes Rezept so ausdrucken kann, das ist schon alles toll gemacht. Wie viel Arbeit da drin steckt! Da hätt ich ja gar keine Zeit zu. Und die Rezepte natürlich. Die Rezepte! Also, die Rezepte … da ist bestimmt das eine oder andere Gute dabei. Ich war ganz verliebt in diese Macarons. Diese kleinen französischen … Na, die mit Eischaum. Raffiniert! So was von raffiniert! Wirklich schade. Ich hab ja die Hälfte weggeschmissen. Nee, die sind einfach nichts geworden. Also, jetzt verstehn Sie mich bitte nicht falsch: Ich hab da schon alles richtig gemacht, aber das Rezept, da war irgendwo der Wurm drin. Die waren alle noch so weich und klebrig. Richtig eklig war das. Das hat auch nicht mehr gut ausgesehen. Ich glaub, wenn man das kann, werden die richtig gut – aber so? Nee, das war einfach nichts. Wir sind ja am gleichen Tag noch zu meiner Mutter gefahren und der gehts ja grad nicht so gut, Darmausgang und Kolik und so, da wollt ich die einfach nicht mitnehmen. Das hat dann auch überhaupt nichts mit Ihnen zu tun, aber wenn da was passiert … So eine alte kranke Frau, da fehlt ja nicht mehr viel. Ich hab dann lieber noch was gekauft. Da ist mir dann irgendwie wohler bei. Ich find das aber gut, dass Sie das machen. Ich würd da auch nie was Schlechtes gegen sagen. So öffentlich, meine ich. Kommentieren und so. Nee nee, das is mir nichts. Das hat dann ja gar keinen Wert. Wenn ich ihn mal treffe, hab ich immer gedacht, dann sag ich ihm das mal. Da freut er sich vielleicht. Aber so anonym im Internet, wenn man nicht weiß, woher das kommt. Wenn man so gar kein Gesicht vor Augen hat, mit dem man das verbinden kann. Das macht man doch nicht. Also einfach so da etwas reinschreiben … Wenn jetzt wirklich was passiert wäre, also wirklich was passiert, mit meiner Mutter wegen den Macarons und so, dann hätt ich schon was kommentiert. Aber auch nur ganz kurz. Nüchtern und sachlich. Man will da ja nicht unfair werden. Einfach nur, dass Mutter die Macarons gegessen hat und kurz danach verstorben ist. Das reicht ja dann auch. Mehr muss man ja gar nicht sagen. Die Leute sind ja nicht doof. Die werden sich ihren Teil schon denken.
Nein, ich find das wirklich gut, dass Sie das machen, diesen Blog. Der läuft ja auch gut. Der läuft ja auch wirklich gut. Und wenn den Leuten zu Hause mal was daneben geht, dann denken die ja nicht gleich ›Scheißrezept‹. Die sind da ja alle unsicher. Die sagen dann: Ich hab bestimmt zu viel Milch genommen und die Butter war ein bisschen drüber und dieser Gasofen … Ich sag immer: Was gibt es denn Besseres als ein unkritisches Publikum? Sie machen das schon alles ganz richtig so. Mit Qualität erreicht man die breite Masse nicht. Gucken Sie sich Mario Barth an, Cindy aus Marzahn, Dieter Bohlen. Das hat doch alles nichts mit Qualität zu tun. Natürlich kommt in einen Cheesecake kein Speisequark. Das weiß man eigentlich! Aber ich versteh schon, warum Sie das gemacht haben: Man kann den Leuten ja nicht zumuten, echten Creme-Cheese zu besorgen. Grandios! Also wirklich grandios. Also ich könnte das nicht. Ich könnte das wirklich nicht! Jeden Morgen aufwachen mit dem Gefühl, sich an die breite Masse verkauft zu haben. Nein. Aber wissen Sie: Ich will das auch gar nicht! Da liegt ja auch der eigentlich Unterschied. Ich werde nicht angesprochen auf der Straße. Zu mir kommt niemand und sagt ›Sie sind doch der Dings, oder? Sind Sie nicht?‹.
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