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Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)

Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)

Titel: Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Bokowski
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dieser »6« wohl eine »3« zu machen sei. Ein einfaches »befriedigend«, mehr verlangte ich gar nicht. Auf dem Heimweg kam mir die rettende Idee. Zu Hause angekommen, öffnete ich mit einem Taschenmesser die Metallklammern des Heftes und löste die Seiten aus ihrer Verankerung. Wenn aus der »6« schon keine anständige »3« zu formen war, so würde ich einfach eine neue Arbeit brauchen. Ich schrieb besagte Arbeit also ein zweites Mal. Am heimischen Schreibtisch. Ich erlaubte mir hier und da, ein paar kleine Verbesserungen meiner eigenen Rechnungen anzustellen, und konnte dann auch die Korrekturen, die ich natürlich selbst mit einem roten Stabilo-Stift hinzufügte, ein bisschen milder ausfallen lassen. Als ich fertig war, fädelte ich die neuen Seiten wieder in das Heft, schrieb einen neuen Notenspiegel und setzte eine harmlos rote »3« unter mein Machwerk. Das Kürzel meines Lehrers hatte ich mir in den kleinen Arbeitspausen angeeignet – ein kurzer Schriftzug, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Stolz blickte ich auf das fertige Ergebnis. Ich fühlte mich wie Konrad Kujau. Nächster Halt: Die Hitler-Tagebücher.
    In der kurzen Pause, die zwischen den Kunststunden lag, konnte ich das niederträchtige Grinsen Karl Jassinskis in meinem Nacken brennen spüren. Langsam erhob ich mich von meinem Platz und schlängelte mich durch die Reihen bis an die hinterste Bank. »Gut, Jassinski. Was willst du?«, fragte ich in nüchternem Tonfall. »Den Bokowski will ich«, sagte er spitz, ohne von seinem Spiegelei aufzublicken. »Unmöglich«, sagte ich. »Sie hat mein Bild doch schon gesehen. Vorhin erst!«
    »Ich glaube, es gibt schon lange keinen Zusammenhang mehr«, entgegnete Jassinski, »zwischen dem, was Frau Menkhoff sieht, und dem, woran sie sich erinnern kann.«
    Und mit diesem Satz ahmte er eine schnelle Handbewegung nach, als kippte er einen unsichtbaren Schnaps in sich hinein. Frau Menkhoffs Hang zum Frühschoppen in der ersten großen Pause und ihr Spirituosenbunker hinter dem Tonofen waren ein offenes Geheimnis an unserer Schule. »Tut mir leid, Jassinski«, sagte ich und wollte mich wieder auf den Rückweg zu meinem Platz machen, als abermals seine krächzende Stimme, ein wenig lauter als zuvor, ertönte: »Ich weiß auch von den Parkzetteln.« Das Blut in meinen Adern gefror.
    In der neunten Klasse wurde ich Mitglied der Theater-AG. Jeden Samstagvormittag fuhr ich mit Natascha Winkler, die drei Jahre älter war als ich und nicht nur einen Führerschein, sondern auch ein kleines Auto hatte, über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz. Die meisten Parkplätze um unsere Schule herum waren kostenpflichtig, und so teilten wir uns das Parkgeld. Schnell begann ich, mir die Parkzettel, die der Automat ausspuckte, einmal genauer anzuschauen. Sie waren simpel konstruiert und verfügten weder über ein aufgedrucktes Logo noch über eine Kennzahl. Wenn man also wusste, wann und wo man parken wollte, sollte es kein Problem sein, die kleinen Dinger am heimischen Rechner nachzubasteln. Mein frühe Jugendliebe Photoshop gab mir Recht in diesen Dingen. Schnell hatte ich die pixelige Schriftart nachgebastelt und druckte Parkzettel auf 60-Gramm-Papier, die täuschend echt aussahen und über jede notwendige Information verfügten: Die Straße, das Datum, die Uhrzeit. Sogar an die maximale Parkdauer hatte ich gedacht und während die älteren Mitglieder unserer AG zum Rauchen vor die Tür gingen, schlenderte ich zu unserem Wagen und legte einen neuen der selbstgemachten Parkzettel hinter die Windschutzscheibe. Hin und wieder warf ich dabei einen kurzen Blick in eines der anderen Autos, um auch ja sicherzugehen, dass sich das Design seit der letzten Woche nicht verändert hatte. Sechs Jahre lang war ich Mitglied der AG. Jeden Samstag probten wir, für gewöhnlich von 10 bis 14 Uhr. An den Wochen vor den jeweiligen Aufführungen kamen wir sogar sonntags im verlassenen Schulgebäude zusammen. Wenn ich mich nun richtig daran erinnere, dass eine Stunde Parken damals eine Mark gekostet hat und ich die Wochenenden überschlage, komme ich zu dem überraschenden Ergebnis, die Stadt Mainz in meinen sechs Jahren Theater-AG um knappe 1.700 Mark betrogen zu haben.
    »Jassinski. Mit Doppel-s«, sagte Karl und blickte mir hämisch grinsend ins Gesicht. Als ich mich wortlos umwandte, um zu gehen, packte er mich am Handgelenk. «Ich meine das ernst, Bokowski«, zischte er. Voller Ekel löste ich meine Hand aus seinem Griff und schlich

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