Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
davon.
Als ich mit der Schule fertig war und mein Abitur in der Tasche hatte, beschloss ich, der Stadt Mainz, vielleicht auch wegen der Sache mit den Parkzetteln, den Rücken zu kehren. Ich wollte nach Berlin, was in meiner Familie auf kein besonders großes Maß an Gegenliebe stieß. Als einziges Kind meiner Eltern waren sie natürlich sehr darauf bedacht, mich in ihrer Nähe zu wissen. Besonders meine Mutter drängte mich dazu, an der Mainzer Uni Medizin zu studieren. Aber der Drang, in die Hauptstadt zu gehen, war sehr groß, und so entschloss man sich dazu, in dieser Angelegenheit den Zufall entscheiden zu lassen. Meine Mutter schlug mir vor, ich solle mich bei der ZVS, der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, bewerben. Würden sie mich ablehnen, könne ich von ihr aus nach Berlin gehen, würden sie mich aber nehmen, bliebe ich bis zum Ende des Studiums in Mainz. Ich willigte ein und bewarb mich.
Nun ist so ein Ablehnungsbescheid der ZVS aber ein ungemein simpel gestricktes Formular, und so fing ich wenige Wochen später den Umschlag mit der Zusage ab, öffnete ihn mit heißem Wasserdampf, vernichtete seinen Inhalt und bestückte den leeren Umschlag mit dem Meisterstück meiner Photoshop-Karriere. Vierzehn Tage später bezog ich meine erste Wohnung in der bundesdeutschen Hauptstadt.
Als die Doppelstunde zu Ende war und Frau Menkhoff uns anwies, die fertigen Bilder nach vorne durchzureichen, drehte ich mich um und blickte kurz zurück. Karl Jassinski stand in der letzten Bank und starrte streng in meine Richtung. Ich hatte meine Nemesis gefunden, meinen Moriarty. Ich wendete den Bogen Papier, auf den ich mein Plagiat gezeichnet hatte, und kritzelte Karl Jassinskis Namen auf die Rückseite. Eine Woche später bekam er 15 Punkte dafür, die Bestnote. Welche Zensur ich für sein giftgrünes Spiegelei bekommen habe, muss an dieser Stelle wohl nicht einmal erwähnt werden. Ich bekam mein Abitur trotzdem, machte an der Mainzer Uniklinik meinen Zivildienst und zog frohen Mutes nach Berlin. Karl Jassinski habe ich seit unserer Schulzeit nicht mehr wiedergesehen. Irgendwann hörte ich von Freunden, er wolle sich in Heidelberg bewerben. Für Pharmazie. Bei der ZVS. Und sagen wir mal so: Ob sie ihn genommen haben, weiß ich nicht. Aber einen Ablehnungsbescheid hat er bekommen.
DONNERSTAG
Am frühen Nachmittag habe ich einen Brief meines Onkels aus dem Briefkasten gefischt. Der Bruder meines Vaters ist eine sonderbare Kreatur. Der Begriff »Kreatur« mag negativ erscheinen, muss an dieser Stelle allerdings als Euphemismus gewertet werden, sprechen wir doch von einem Mann, der aussieht wie eine osteuropäische Hammerwerferin im Ruhestand, die seit Ende der siebziger Jahre unter psychosomatischem Fresswahn leidet und sich darüber hinaus in einen religiösen Wahn geflüchtet hat, seit in die Sozialwohnung unter ihm eine türkische Familie gezogen ist
.
Mein Onkel, das herzensgute Ding, schickt mir eine Glückwunschkarte zum meinem 29. Geburtstag (in sechs Wochen). Darauf eine handschriftliche Notiz: »3. Buch Mose, Vers 22: Der Mann soll nicht beim Manne liegen, wie er bei einer Frau liegt.«
DU BIST JETZT OPFER
Unlängst wurde ich Opfer eines Raubüberfalls. Gegen zwei Uhr morgens wurde ich auf dem Heimweg im Eingang meines Hauses von einer vermummten Person bedrängt und unter Androhung körperlicher Gewalt aufgefordert, mein Bargeld und mein Mobiltelefon herauszugeben.
Es folgen drei szenische Darstellungen dieses Überfalls.
Darstellung Nummer 1: Wie es wirklich war
Täter
Ey, ’tschuldigung?
Ich
Ja?
Täter
Hast du eine Zigarette?
Ich
Tut mir leid, aber ich rauche nicht.
Täter
Dann gib mir jetzt dein Geld! … Ey, nich abhauen. Gib mir dein Geld, hab ich gesagt!
Ich
Ganz ruhig!
Täter
Du gibst mir jetzt dein Geld!
Ich
Ja, ganz ruhig. Du, mein Portemonnaie, ehm, das muss ich aber behalten.
Täter
Ja, gut.
Ich
Sind, glaub ich, nur fünf Euro.
Täter
Scheißegal. Gib her.
Ich
Oh! Hier! Wirklich nur fünf. Ehm, ich kann dir ja auch noch das Kleingeld geben, wenn du willst.
Täter
Hast du Handy?
Ich
Nee. Tut mir leid, aber ich habe kein Handy.
Täter
Was ist in dem Rucksack?
Ich
Da sind nur meine Texte drin.
Täter
Texte?
Ich
Ja. Texte. Ich bin Autor. Ich schreibe Texte.
Täter
Was für Texte?
Ich
Lesetexte. Ich trete damit auf.
Täter
So Poetry-Slam und so?
Ich
Nee. Also, na ja, manchmal. Eigentlich trete ich bei Lesungen und auf Lesebühnen auf. Willst du sehen?
Täter
Nee, schon gut! Jetzt gib mir
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