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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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schien aus der Patchworkdecke aufzusteigen. Er schnaubte durch die Nase.
    Ella May hatte längst gelernt, woran Tike Hamlin dachte, wenn er mit Mund und Nase dieses nervöse Geräusch machte. Dann war er wütend, zornig, deprimiert und hatte alles satt. Tike Hamlin war ein Mann, der kämpfte, und sie wusste, was sein Schnauben bedeutete: dass er wütend genug war, zornig genug und nervös genug, um zu kämpfen. Ihr Gehirn kochte, und sie dachte:
    »Aber. Kämpfen gegen was? Kämpfen gegen wen? Wo kämpfen? Wann? Gegen den Wind oder gegen den Regen? Gegen den Mond und gegen die Sterne? Sich die Kleider vom Leib reißen und gegen die Jahreszeiten und die Wolken kämpfen? Gegen den Wind kämpfen und gegen den Staub kämpfen, weil er immer zur falschen Zeit kommt, nie zur richtigen? Gegen die Route 66 dort drüben kämpfen, weil sie in die verkehrten Richtungen führt? Gegen jeden in der Star Route School kämpfen? Gegen alle Nachbarn ringsum kämpfen? Gegen die Schweine, Hunde und Hühner kämpfen, weil sie unter dem Haus faulenzen? Gegen den Hahn kämpfen, weil er die Henne jagt? Gegen den alten Eber kämpfen, weil er die kleinen Ferkel aufstöbert, jagt und beißt? Gegen das Truthuhn kämpfen, weil es hoch oben auf die Windmühlenplattform geflogen ist und gekreischt hat wie ein Idiot, bis die ganze Farm schier den Verstand verlor? Kämpfen gegen was? Kämpfen gegen wen? Wann? Wo? Gegen die Leute kämpfen, die auf den Hof kommen, um alle möglichen blöden Schulden einzutreiben? Gegen die Regierung, das Rathaus, das öffentliche Klo kämpfen? Was?« Es war all das. Es war mehr als das. Es war etwas so Großes, dass es sich nur schwer in Worte fassen ließ, und es war etwas, das in jeder kleinen Arbeit steckte, die sie in Angriff nahmen, in jedem kleinen Schritt, den ihre Füße tun mussten, etwas, das bei jeder lästigen Pflicht, bei allem, was auf der Farm erledigt werden musste, ein stechender Schmerz war, etwas, etwas, es war etwas so Kleines, etwas so Kleines, dass es in allem war, was sie taten. Und nur weil Tike von diesen Gefühlen erfüllt war, musste Ella May fast lächeln, als er noch ein paar Mal schnaubte. Sie hob das Gesicht zur Decke, zog sich das Kleid über den Kopf und legte es auf die Rückenlehne eines Rohrstuhls. In ihrer Nase spürte sie jenes Brennen, jenes kleine Brennen, jenes ferne, schwache, kleine Brennen, das der Staub im Haus bei ihr auslöste. Sie atmete tief ein. Sie spürte, wie die Tränen ihr die Tusche aus den Wimpern wuschen. Sie versuchte, sie abzuwischen, um sie vor Tike zu verbergen, doch ihre Fingerspitzen verschmierten nur die Farbe auf ihren Wangen und ließen sie hohlwangig, mager, furchterregend aussehen, ein wenig wie der Schatten auf einem ausgebleichten Schädel bei Sonnenuntergang.
    »Elly.« Tike presste Nase und Mund fest gegen das Bettzeug. »Schatz.«
    »Was?«, antwortete sie und wandte ihm dabei den Rücken zu. Um Tike nicht zu unterbrechen, schleuderte sie die Schuhe so lautlos wie möglich von sich. »Ja?«
    »Ich muss dir was sagen. Was mich fertigmacht. Ich muss es dir sagen, muss es dir sagen, selbst wenn du mich deswegen umbringst. Selbst wenn du ein Hackebeil nimmst und mich für immer aus dem Haus jagst.« Seine Hände krallten sich in die Bettdecke, und die Sprungfedern der Matratze quietschten wie ein in die Enge getriebener Kanarienvogel. »Ich dreh durch. Ich werd wahnsinnig. Ich kann’s nich länger für mich behalten.«
    Ella zog ein sauberes weißgepunktetes blaues Baumwollkleid über den Kopf, und während sie den Stoff straff herunterzog und an der Taille zwei Knöpfe schloss, antwortete sie: »Wir haben uns nie angewöhnt, Geheimnisse voreinander zu haben, stimmt’s, Mister?«
    »Ja, aber.«
    »Aber was? Sir?«
    »Es is schlimm. Hundsgemein. Was so Großes wie all unsre andern Sorgen zusammen. Was noch viel Größeres.« Tike schlug mit der Hand aufs Bett und zog mit den anderen fünf Fingern an seinen Haaren. »Was noch viel Schlimmeres.«
    Ella stand da und betrachtete die abgerissene Tapete, den Staub und die Spinnweben, die keine Frau der Welt so schnell entfernen konnte, wie sie entstanden. Sie konnte es nicht einmal hoffen. Noch immer wandte sie Tike den Rücken zu. »Ja …?«
    »Na ja, du erinnerst dich noch an letztes Jahr?«
    »Ja. Was war letztes Jahr?«
    »Na ja. Letztes Jahr haben wir die sechshundert Morgen gepachtet, stimmt’s?«
    »Ja …«
    »Und wir haben bar bezahlt, stimmt’s?« Vor lauter Qual klang er, als wäre es ihm

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