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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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presste. »Seit letzter Woche.«
    Sie fühlte sich schwach, nervös, unsicher. Sie war zu benommen, um Tike zu antworten. Sie betrachtete den Stapel alter Zeitungen und die Spülschüssel mit Kleister.
    Und noch einmal sagte er zu der Wand hinter dem Bett: »Ja. Seit letzter Woche. Ich war bei ihm im Büro und wollte die Pacht um ein Jahr verlängern. Er hat nur den Kopf geschüttelt. Nix zu machen. Keine Chance. Ausgeschlossen.«
    »Und??«
    Tike krallte die Hände so fest in seine Haare, dass der Schmerz jetzt auch ihm Tränen in die Augen trieb.
    »Und. Ah. Tja. Das war’s, was ich dir sagen wolIte.«
    »Also? Ziehen wir weg, oder was?« Sie saugte an ihrer Oberlippe und blickte auf ihren Schoß.
    »Nein. Ziehen nich weg.«
    »Ziehen nich weg?«
    »M-m.«
    »Pachten aber auch nich wieder?«
    Und Tike sagte: »M-m.«
    Als sie sich zurücklehnte, spürte sie die Wand am Hinterkopf. Sie faltete die Hände im Schoß und fragte durch ihre Tränen hindurch: »Wir pachten nich? Wir ziehen nich weg? Dies nich? Das nich? Nun denn, teurer Freund« – ihre Worte kamen ebenso langsam wie ihre neuerlichen Tränen – »vielleicht könntest du dich n klein bisschen klarer ausdrücken. Was tun wir stattdessen?«
    »Bin ich froh, dass du ›wir‹ gesagt hast.« Tike lächelte in sich hinein. »Ich glaube, das Wort gefällt mir besser als jedes andre, das ich jemals jemanden hab sagen hören.« Er schloss die Augen und sagte zur Zimmerdecke hinauf: »Wir.«
    »Wir was?« Sie rührte sich nicht.
    »Wir sind zehn Mal schlimmer dran als Pächter, Schatz.«
    »Wieso?«
    »Sind wir eben. Ach. Weißte, warum er uns das Land nich für noch n Jahr verpachten wollte?« Tike mahlte mit den Zähnen.
    »Warum nich?«
    »Sagt, er will n neues Haus drauf bauen. Will’s nich für n ganzes Jahr verpachten. Will womöglich selbst herziehen, seine sechshundert Morgen selbst bestellen und selbst hier wohnen. Sagt, wenn’s für n ganzes Jahr verpachtet ist, schafft er’s nie, n neues Haus drauf zu bauen.«
    »Soooo?«
    Tike rieb sich mit dem Handrücken über den Mund und merkte, wie sein tagealter Bart in seine Finger piekte. »Also. Tja. Er hat gesagt, er lässt uns nur drauf wohnen, wenn wir ihm, äh, Ernteanteile als Pacht zahlen.«
    Die Worte »Ernteanteile als Pacht« brachten eine stumme, bittere, zittrige Saite im Gehirn und in den Gedanken Ella May Hamlins zum Klingen. Ihre Zunge war klebrig, mit einer widerlichen gummiartigen, kleistrigen Spucke bedeckt, die ihre Kehle überflutete und sie nicht gleich antworten ließ. Auf ihrem verzerrten Gesicht explodierte ein heftiger Schmerz, und die Adern an Hals und Armen traten wie Wurzeln hervor, als es ihr schließlich gelang, mit einem besiegten, gepeitschten, verlorenen Flüstern hervorzupressen: »Ernteanteile als Pacht?«
    Tike stand vom Bett auf und legte sich die Hände auf die Augen. Er taumelte auf dem Fußboden umher. Er kaute an seinen Lippen, bis sie nass, bis sie blau, schwarz, lila waren, dann schnaubte er wieder auf seine gelähmte, verrückte, wahnsinnige, trunkene Art und ging auf und ab, nur einen Meter von Ellas Baumwollkleid mit den kleinen weißen Punkten entfernt. Er räusperte sich – eine Art Husten – und sprach vor allem in den Wind:
    »Landwirtschaft is was Gutes. So gut wie jede andre Arbeit, die n Mann tun kann. So gut wie jede andre Arbeit, die n Mann oder ne Frau in dieser Welt tun kann. Sie is gut, weil sie gut is und n Mann drin gut sein kann. Er kann was leisten und das Gefühl haben, was Gutes zu tun. Und n Farmer. Also, n Farmer is was Gutes. Aber nimm n Farmer, der pfuscht und bei irgend nem Verein Schulden macht, dann hat er noch ein, zwei Mal Pech, unebenes, steiniges Gelände oder böse Winde oder Hitzewellen oder Trockenperioden oder Überschwemmungen, Fluten, Wolkenbrüche oder so, und er verliert, was er hat. Und dann, tja, dann sinkt er tief und wird Pächter von jemand anderm. Er hat verloren, was Teil von seiner Haut und seinen Knochen, seinem Herzen und seiner Seele war, darum isser im Geist und im Kampf nich mehr bei seiner Farm, nich mehr so wie vorher. Nich mehr so richtig bei der Sache. Weil er jetzt nur noch pachtet. Er is kein Eigentümer mehr. Nur noch Pächter. Gott noch mal, wie tief isser dann gesunken? Gütiger Gott. Er is so tief gesunken und so übel dran, wie er’s je sein wird oder wie er glaubt, dass er’s je sein wird. Ich kenn das Gefühl. Wie ich noch auf der Farm von meinen Leuten gearbeitet hab, hatte ich Sorgfalt und

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